Von Rainer Holtorff
Ischia, Italien, 31. März 2018
Mein Ratschlag, die Großwetterlage zu beachten, wurde durch einen fixen Termin in den Wind geschrieben, das hat uns ganz schön durchgerüttelt, doch der Reihe nach:
Ich bin ein paar Tage vor Ostern nach La Spezia gereist, um einen Überführungstörn nach Kuşadası bis Westgriechenland zu begleiten. Die gepflegte Hallberg-Rassy 49 war verkauft worden. Die Papiere waren abgewickelt, nun stand die Übergabe der Yacht an. Von italienischer Seite erscheinen Andrea, der Sohn des bisherigen Eigners und Davide, ein Freund der Familie, der das Schiff ebenfalls kennt. Es gibt jede Menge Technik an Bord: Einen 140 PS Turbodiesel, einen Kohler-Generator, 6 E-Winschen, eine E-Rollreffanlage, elektrische WC’s, 3 Kartenplotter, einen hydraulischen Autopiloten, eine automatische Passarella, einen Gefrierschrank, ein hydraulisches Bugstrahlruder, eine Waschmaschine, diverse Lichtmaschinen, verschiedene Spannungen, einen Inverter, neue North 3DL-Segel, ein Stagsegel, einen Gennaker und so einiges mehr …
Alles wurde ausprobiert, es dauerte über einen halben Tag. Als wir danach auf dem Steg standen fiel mir auf, dass Andrea rot angelaufen war. Ich fragte ihn, ob ihm der Abschied irgendwie schwer falle, da brach es aus ihm heraus:
„I was born on her, I grew up on her, practically…“
Es war seine, ihre Cinderella, die so alt war wie er selbst, und die er nun zum letzten Mal sah, weil sein Vater sie verkauft hatte, verkaufen musste, und die demnächst von drei Deutschen davon gesegelt würde.
Gesagt getan. Am nächsten Mittag warfen wir die Leinen los, um die ersten 450 Meilen nach Messina zu bewältigen. Unser Problem waren ein starker Südostwind und 3 Meter Welle; der direkte Weg war also gar nicht möglich. Unsere einzige Chance: In einem langen Kreuzschlag Richtung Korsika/Sardinien zu segeln, um dort auf günstigere Winde zu hoffen.
Schon bei den ersten Ruderbewegungen wurde mir klar, dass sich diese Yacht wie ein Tanker fährt. Kein Wunder: Außer den 1.4 Tonnen Wasser und 700 Litern Diesel hatten wir noch jede Menge Ausrüstung mit an Bord, die vorher in einem Schuppen in La Spezia gelagert hatte.
Als wir aus der Bucht fuhren rollte uns die Dünung entgegen. Ich hatte gedacht, dass dieses Schiff, ob seines schieren Gewichtes, eine Art schwimmende Festung wäre, aber die Rassy machte Bocksprünge, als wir sie motorsegelnd gegen die Wellen vorantrieben.
So passierten wir am Abend die Insel Gorgona, und erreichten den Canal de Corse, zwischen Capraia und dem Cap de Corse, gegen Mitternacht. Bei Flaute zogen wir am Morgen an den verschneiten Gipfeln Korsikas entlang gen Süden, passierten am frühen Nachmittag die Straße von Bonifacio, aus der es wie üblich herauspfiff, und liefen noch bei Tageslicht in Olbia auf Sardinien ein, um zu tanken – immerhin hatten wir bis dahin 30 Stunden motort. Ich hoffte, dass wir es dabei bewenden lassen würden, aber Lothar – der neue Eigner und mein Auftraggeber – wollte das Wetterfenster unbedingt nutzen, ehe am Wochenende ein Sturm über das Tyrrhenische Meer hinweg fegen sollte. Ich konnte von Skippers Seite keine stichhaltigen Einwände vorbringen, und so einigten wir uns auf eine machbare Route nach Osten, rüber zum Italienischen Festland, etwa 200 Meilen. Capri wurde von mir als in der Ferne schillerndes Ziel ausgerufen und von Seiten Lothars mit imitieremden Fischergesang aufgenommen. Schon waren die Leinen geslipt, keine Stunde waren wir auf Sardinien gewesen.
Als die Umrisse der Berge im Dämmerlicht versanken, konnten wir die Maschine endlich abschalten und liefen mit halben Wind bei vollem Mond nach Osten.
Am Morgen kam der Wind wieder von vorne und wurde stärker. Wilfried, unser dritter Mann im Bunde, steuerte das Schiff von Hand, weil der Autopilot seinen Kurs nicht mehr hielt. Meine Maßnahmen, um dies zu ändern (reffen von Groß und Genua, Reset des gesamten Systems) hatten keinen Erfolg. Nun war klar, dass wir auf den letzten einhundertzwanzig Meilen zum Kampanischen Archipel von Hand steuern würden. Doch damit nicht genug: Als nächstes sackte die Genua ab, sie mußte am Top gerissen sein. Wir bargen das Segel an Deck und verzurrten es.
Etwas angeschlagen, 31 Stunden nach Olbia, erreichten wir Ischia mitten in der Nacht. Beinahe 400 Meilen waren wir in zweieinhalb Tagen gesegelt, meist gegenan. Hundert Meilen mehr als es von La Spezia nach Ischia gewesen wären, bei geeignetem Wind. Aber wer hat denn heute auch schon die Zeit in einem Hafen zu warten, bis der richtige Wind weht. Da war man uns früher irgendwie voraus.