Als der Südost nachließ, warfen wir die Leinen los. Die See nördlich von Messina hatte sich endlich beruhigt. Wir passierten die Reede Scylla und fädelten uns in den Verlauf des schlauchförmigen Gewässers ein.

Am Vormittag machten wir in Messina fest, wo wir tanken und am Abend einen vierten Mann an Bord nehmen wollten. Als wir erfuhren, dass es im Hafen keine Tankstelle gab, sahen wir uns gezwungen, nach Reggio di Calabria zu verholen. Ich war etwas nervös, so zwischen Scylla und Charybdis spazieren zu fahren: Die Seemonster haben hier ja schon ganze Schiffe verschluckt, und selbst wenn man antike Legenden für Seemannsgarn hält, kann die Straße einem schnell zeigen, wie klein man ist. Und so währte auch unsere Ruhe nur kurz: Der Nordwind wurde stärker, und als ich die Hallberg-Rassy in die enge Lücke der Tankstelle in Reggio hinein drehte, mußte ich bereits höllisch aufpassen, dass wir nicht vertrieben wurden. Die Leinen nahmen ein jüngerer und ein älterer, hutzeliger Mann entgegen. Keiner von beiden hatte je von der Bedeutung einer Spring bei Starkwind gehört. Wir waren schon am Einfüllen des Diesels, da zog mich der Ältere an Land, hin zum Kofferraum eines alten Taxis. Er drückte mir eine Flasche Wein als Geschenk in die Hand und forderte mich auf, ein paar Laiber Peccorino-Käse von ihm zu kaufen. Da ich nicht wußte, wie er mit dem Tankwart zusammenhing, und wir hofften, hier noch bis zum Eintreffen unseres vierten Mannes gedulded zu werden, nahm ich das Angebot an. Saviero, so hieß der Taxifahrer, entpuppte sich als eine Art mobiler Yachtservice. Stolz zeigte er mir Einträge über ihn in britischen Revierführern, die er als Fotokopien bei sich trug. Er empfahl sich für jeden erdenklichen Wunsch und nahm mir die Zusage ab, ihn später anzurufen, falls wir Lebensmittel bunkern wollten. Dann fuhr er winkend davon. So geht es eben zu im Mezzogiorno, die Dinge verschwimmen irgendwie: Tankstellen, Käsehändler und Yachtservice werden eins.

 

Da wir am Abend auf die 250 Meilen nach Griechenland gehen wollten, schliefen wir etwas vor. Später drehte ich noch eine Runde durch Reggio, diese von Kriegen, Erdbeben und Tsunamis heimgesuchte Stadt. Ich hätte gern mehr gesehen, ich kann mich an solchen Orten richtig festsaugen, aber hier hatte ich keine Zeit und war bald wieder an Bord, um bei Dämmerung mit den anderen Strecktaue auszulegen und das Stagsegel anzuschlagen.

Nachdem Dirk – unser vierter Mann – gekommen war, schob uns ein kräftiger Nordwind aus der Straße hinaus in die Nacht. Er verschwand wieder im Windschatten Kalabriens, um später, hinterm Kap Spartivento  heftig zurückzukommen. Ich fand das beunruhigend; der Starkwind sollte doch eigentlich erst am nächsten Tag wehen, mitten auf dem Ionischen Meer. Tatsächlich legte sich der Wind wieder, es war also nur der letzte Gruß Kalabriens gewesen, um ein Gebirge herum gepfiffen.

 

Die Nacht verlief nach Plan. Thomas, unser Wettermann, der uns uns schon seit La Spezia aus Deutschland beriet, schrieb via Satellit, dass wir uns heute unbedingt ausruhen sollten; die nächste Nacht hätte es in sich.

 

Wenn es ruhig zugeht auf Langfahrt ist es wunderbar. Man schläft, man wacht, man kocht, man ißt: Das Leben ordnet sich einem Wachplan unter, der einem – vorausgesetzt die Crew ist zahlenmäßig stark genug – Zeit für alle möglichen Dinge läßt. Dennoch versuche ich den Leuten immer klar zu machen, dass es gut ist, wenn sie ruhen; die Dinge können sich schnell ändern: Das Wetter kann umschwenken, die Technik spielt verrückt, oder jemand fällt aus. Schon ist man gefordert, und dafür müssen dann Reserven da sein. Dass wir unsere auf diesem Törn noch brauchen würden, habe ich da wohl schon geahnt.

 

Noch am frühen Nachmittag des nächsten Tages war es ruhig, Reggio war   100 Meilen achteraus. Auf einmal ließ sich beobachten, dass die Dünung höher wurde, obwohl die Windstärke sich nicht veränderte. 

Lothar hatte vorhin noch behauptet, dass wir ungerefft nach Griechenland fahren könnten. Ich hatte nicht wiedersprochen, sondern lediglich gedacht: Laß mal den Wind antworten. Nun heulte und pfiff er durch das Rigg. Das schwere Schiff mit dem kurzen Kiel rollte um seine Längsachse wie eine Hollywoodschaukel. Jedem an Bord war klar, dass wir die Ohren anlegen müssen – wir gingen gleich ins zweite Reff. Ich fand unseren Plan, trotz des seitlichen Starkwinds die Höhe bis Kefalonia verteidigen zu wollen, kühn. Thomas hatte sogar orakelt, dass es uns nicht gelingen würde, dass uns der Nordwind abdrängen würde, bis unter den Pelepones.

Bald gingen die Wellen über das Schiff. Immerhin nahmen wir kein Wasser mehr durch die Vorluke; diese war nun abgedichtet. Was uns zuzusetzen begann, war das schwere seitliche Rollen und die Gischt, die ständig auf uns niederging.

Bei Dämmerung landete eine Seeschwalbe auf einer Wandleuchte im Salon. Sie machte die rollenden Bewegungen des Schiffes mit, als sei sie kardanisch aufgehängt. Jeder Versuch sie zum Wegfliegen zu animieren, war vergebens, es war draußen einfach zu ungemütlich.

Der Wind wurde stärker. Immer öfter gab der hydraulische Autopilot ein paar schrille Töne von sich und fiel aus. Als wir den Antrieb untersuchten, stellten wir fest, dass er heißzulaufen drohte. Wir schalteten ihn ganz ab und gingen zur Handsteuerung über. Im zweiten Reff hatten wir noch immer jede Menge Fahrt im Schiff. Das mag ja beim Volvo-Ocean-Race mit einer Zehnercrew ok sein, bei uns – mit einem Ausfall durch Seekrankheit – in drei Einzelwachen, aber nur bedingt. Der Wind hatte auf über 40 Knoten zugelegt, es mußte ständig konzentriert gesteuert werden.

Gegen 21:00 Uhr reichte es: In einer bei dem groben Seegang schon nicht mehr ganz ungefährlichen Aktion nahmen Wilfried und ich das Großsegel runter. Ich mußte danach an die Übergabe des Schiffes denken, vor ein paar Tagen, als wir das Großsegel mit den Voreignern bei Flaute in Porto Lotti zur Probe geheißt hatten: Ich bemerkte, dass das Schiff kein drittes Reff besitze. Andrea und Davide entgegegneten prompt, dass sie die Cinderella höchstens im ersten Reff gefahren wären, und dass auch nur bei über 28 Knoten Wind. Ansonsten bräuchte man überhaupt kein Reff, schon gar kein drittes, niemals. Das hatte ich gleich merkwürdig gefunden. 

 

Via Satellit kamen von Thomas neue Info. Das Schlimmste sollte frühmorgens vorbei seinschrieb er. Gegen Mitternacht frischte der Wind aber noch auf und die See wurde gröber. Als Lothar sich für einen Moment nicht festhielt, stürzte er quer durch den Salon und knallte mit dem Kopf an den Holzpfahl neben der Pantry. Es sah brutal aus, aber er sagte nur: „Nix passiert – glaube ich!“. 

Nicht auszudenken, hier bei solchen Bedingungen einen Notruf absetzen zu müssen. Hab ich mir wieder für zukünftige Törns hinter die Ohren geschrieben: Vor schwerem Wetter müssen alle hoch und heilig versprechen, dass sie sich nur mit größter Vorsicht im Schiff bewegen.

 

Der Kompass auf der Cinderella war nach einem Umbau des Steuerstandes vor ein paar Jahren am Niedergang befestigt worden. Ein winziges Modell, vom Rad ist der Kurs kaum zu erkennen. Ich steuerte deshalb über die Seitenpeilung des Nordsterns, mit einen gelegentlichen Kontrollblick auf den Plotter. Der Wind war noch immer an der Grenze zum Sturm. Dennoch fielen wir nicht ab, hielten stur Kurs Ost.

Wilfried kam, um mich abzulösen. Es ging ihm nicht gut, aber er trat seine Wache an. Auch Lothar, der gar kein richtiges Ölzeug dabei hatte, sondern eine Art Regenjacke mit Käppi, die bei viel Gischt und Wind sicher sehr frisch sein mußte, zog seine Wachen eisern durch. Die Bedingungen waren ruppig, aber wir arbeiteten Hand in Hand. 

 

Über 90 Meilen vor Kefalonia entdeckte ich die Beleuchtung eines Großschiffes. Ich konnte nicht erkennen, wohin es meinen Gegner zog, aber nach einer Weile stand fest, dass die Peilung stand. Ich tröstete mich damit, dass das andere Schiff noch weit weg sein mußte, es war gerade erst in Sicht gekommen.

Als ich nach Minuten wieder aufschaute, erschien es mir schon deutlich näher. Und ich hatte den Eindruck, nun sogar hinauf blicken zu müssen, als ob es bereits so nah war, dass ich mich unterhalb seiner Positionsleuchten befand. Eigentlich sah ich nur ein grelles, gelbes Licht. Ein riesiger Trawler? Ich wurde nervös, war durch den wenigen Schlaf und das andauernde Rollen auch schon etwas benebelt. Ich fragte mich, ob ich nicht längst handeln mußte. Warum war auf dem Plotter eigentlich kein AIS-Signal zu sehen? Konnte das sein, dass so ein Riesenkahn, zu dem man schon aufschauen mußte, kein AIS-Signal aussendete?

Das Problem an einer Einzelwache bei grobem Seegang ohne Autopilot ist ja, dass man vom Steuerstand einfach nicht wegkommt, um zum Beispiel das Radarbild zu checken. 

Irgendwann war die Positionsleuchte meines Gegners so hoch, dass ich mich schräg unterhalb befinden mußte,  jetzt konnte eigentlich nur noch das Manöver des letzten Augenblicks helfen. Ich wollte es gerade einleiten, als mir dämmerte, wie dieses dämliche Schiff heißen mußte: Ihr Name war Jupiter und er war in östlicher Peilung aufgegangen.

 

Erleichtert steuerte ich das Schiff durch Berge und Täler aus Wasser. Der Wind hatte nicht nachgelassen, es war noch immer Nacht. Die Bewegungen am Ruder waren monoton. Es sah aus, als ob wir den Kurs halten konnten. Trotz des Tosens und Heulens war ich ganz ruhig und fühlte mich wohl, wie im Herzen der See.

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