Corona an Bord! Lagoon 50 Yachtüberführung Sardinien-Wilhelmshaven von Rainer Holtorff

22. April 2021, Nord-Sardinien

Wir waren zu fünft: 2 Frauen, drei Männer. Eine motivierte, passionierte Crew. Wir wollten via Gibraltar flott bis nach Deutschland segeln. Den Katamaran hatten wir für die deutschen Eigner von einer Charterbasis übernommen, das Hand-Over hatte Zeit gekostet, aber nun waren wir unterwegs. Kräftigen Ostwind sollte es geben, über eine Woche lang. Genug guten Wind also, um Gibraltar unter Segeln zu erreichen, mindestens. Wir freuten uns wie die Schneider. Der einzige Grund, warum wir im Maddalenen-Archipel überhaupt noch einmal ankerten, waren Probleme mit der Hydraulik-Steuerung. Die lenkte unsauber, wir fuhren Schlangenlinien.

23 April 2021, Cannigione

Also nahmen wir noch einmal die Techniker von North Sardinia Sail (NSS) in Empfang. Nach einer Stunde hatten sie die Hydraulik entlüftet und durchgecheckt. Jetzt sollte alles passen. Ich winkte ihnen zum Abschied und war allein an Bord – die Crew war noch mal einkaufen, die allerletzten Besorgungen – denn wer wollte wissen, wann wir anhalten würden? Bei diesen Aussichten würde der nächste Hafen sicher erst Lissabon sein. Oder sogar Vigo?

Da wussten wir noch nicht was auf uns zukommt....

Da wussten wir noch nicht was auf uns zukommt….

Kira, eine von uns angeheuerte 20-jährige Mitseglerin kam früher vom Einkaufen zurück als die anderen. Sie fühlte sich unwohl. Ich schlug ihr vor, sich hinzulegen. Ich würde sie aus dem Wachplan nehmen, bis es ihr wieder besser ging. Als die restliche Crew wieder da war gab es Pizza. Kira kam dazu doch noch einmal aus der Koje. Uns fiel auf, wie schlecht sie aussah. Das Gesicht geschwollen, rot angelaufen. Dazu die triefende Nase. Fast schon spaßeshalber warf ich das Wort „Corona“ in den Raum. Konnte ja nicht sein: Sie war doch vor erst vor drei Tagen aus Deutschland gekommen und hatte zuvor 2 PCR Tests gemacht… Während ich im Corona-Hotspot Sardinien beim Handover der Yacht Kontakt zu etlichen Technikern eines gerade aus einem Lockdown erwachten Betriebes gehabt hatte, war sie hier doch kaum jemanden begegnet. Als wir sie am Flughafen in Empfang genommen hatten, litt sie zwar an einem Schnupfen, aber dieser plage sie schon ewig, sagte sie.

Passenderweise hatten wir einen Mediziner an Bord. Michael war mit Anna, meiner Co-Skipperin, und mir schon über den Atlantik gesegelt. Er packte kurzerhand einen Corona-Schnelltest aus und nahm bei unserer Mitseglerin einen Abstrich vor. 5 Minuten später starrten wir auf das Ergebnis: Wir waren wie vor den Kopf gestoßen.

Ich schrieb eine Whatssapp an unser Backoffice.

„Shit“, kam es lapidar zurück.

Als erste Maßnahme beschlossen wir, dass Kira von nun an in ihrer Kabine bleiben müsse. Wir würden sie versorgen. Michael zog los, um Flächendesinfektionsmittel und neue Masken zu besorgen. Er ordnete an, von nun an Masken an Bord zu tragen: Es konnte doch gut sein, dass Kira einen von uns bereits angesteckt hatte und die anderen noch nicht. Wir mussten uns also auch voreinander schützen, so gut es ging. Ich gab Carlo, unserem Kontakt bei den Italienern, Bescheid. Er antwortete, dass wir zurückkommen konnten, in ihre Marina, von der wir erst am Tag zuvor gestartet waren. Sie würden uns eine Boje fertig machen, an der wir die behördlich angeordnete Quarantäne verbringen konnten. Während wir zurücksegelten dachten wir nicht mehr an den schönen Ostwind, der uns nun entging. Wir dachten an den letzten Abend. Kira mitten unter uns beim Essen. Danach hatten wir uns zusammen einen Wetterbericht angeschaut und sie hatte ein paar Mal genießt. „Gesundheit!“ hatte ich immer wieder gemurmelt – und sie hatte stets höflich „Danke!“ gesagt.

 

Zurück in unserer Ausgangsbucht der Cala dei Sardi lotsten uns die Italiener an ihre Mooringboje. Uns erreichte ein Schreiben der italienischen Maritimen Behörde. Wir waren nicht mehr frei, die Crew durfte nicht mehr an Land gehen.

Ich war dankbar, dass die Italiener von NSS, die diese Yacht an unsere Auftraggeber – verkauft hatten, uns an ihre Boje ließen. Und dass sie anboten, uns zu versorgen. Zwar blieben wir auf die paar Meter Yacht beschränkt, aber immerhin war es ein nicht ganz kleiner Kat.

 

23.April 2021

 

Das Zusammenleben mit einer isolierten jungen Frau war bizarr. Während wir mit Masken im Salon einander Gesellschaft gaben, blieb Kira strikt in ihrer Kabine von uns isoliert.

Doch bereits nach zwei Tagen kam sie aus ihrer Luke im Vorschiff gekrabbelt und begann auf dem Steuerbordrumpf Sportübungen zu machen, obwohl sie noch immer erkältet aussah. Wir saßen im Salon, durch die riesigen Scheiben von ihr getrennt, und konnten ihr dabei zusehen.

Morgens, mittags und abends stellten wir Mahlzeiten vor ihre Tür. Sie nahm sie zu sich hinein, aß, wusch die Teller ab und desinfizierte sie anschließend mitsamt des Bestecks. Wir wuschen es danach noch einmal ab. Falls die Übertragung nicht schon erfolgt war, durfte es jetzt nicht doch noch geschehen.

Ich hatte ein sehr mulmiges Gefühl. Immerhin stand ja zu erwarten, dass es uns auch erwischen würde. Wir stellten Überlegungen an, wann es bei uns losgehen könnte. Vier, fünf Tage nachdem wir unsere junge Mitseglerin getroffen hatten, wäre wohl der Normalfall. Insofern lag die kritischste Phase noch vor uns. Was die Sache zuspitzte:  Sardinien – und insbesondere die Region  Olbia – war seit zwei Wochen ein Corona-Hotspot –  eine Zona Rossa, also in einem harten Lockdown. Carlo, unser Kontakt, der abends einmal in einem Dingi unweit unseres Hecks stand, erzählte uns, dass wahrscheinlich deshalb noch niemand von der Behörde bei uns gewesen sei, weil sie in Olbia einfach zu viele Fälle hätten. Die Behörde kam einfach nicht hinterher, die Krankenhäuser waren überlastet.

Das ließ die Sache noch gruseliger aussehen: Was würde bei einem Ausbruch an Bord geschehen? Würde dann überhaupt jemand zu den Deutschen kommen? Oder würde man uns hier draußen an der Boje einfach uns selbst überlassen?

 

 

24.04.21

Ich will nicht verschweigen, in welcher Schönheit sich das Ganze abspielte. Die Cala dei Sardi liegt an einer Art Fjord, dem Golfo die Cugnana, der ein paar Meilen ins Inselinnere von Sardinien ragt und dessen Ende mit einer Bucht so etwas wie einen natürlichen Hafen bildet. Von den Ufern führen mit üppigem Grün und Wildblumen bewachsene Hügel immer höher hinauf zu mittelhohen Bergen. Der Mensch hat hier eingegriffen. Er hat eine Uferstraße gebaut, eine Rennpiste für die Einheimischen. Auch gibt es Portisco, eine riesige Marina, schräg gegenüber das aufgedrehte Porto Rotondo. In Coronazeiten sind diese Häfen allerdings weitgehend menschenleer. Zumindest in den Tagen, als wir noch herumlaufen durften. Jetzt saßen wir an Bord herum, verurteilt zu warten. Sobald man sich etwas unwohl fühlte, dachte man, dass die Krankheit ausbricht. Ich erinnere noch, morgens jedes Mal erleichtert gewesen zu sein, wenn ich beim Erwachen feststellte, dass der leichte Schnupfen am Morgen nur von der kalten Nacht herrührte und kein Infekt war.

 

25.04.2021

 

Am Sonntagmorgen, also gute sechs Tage nach dem Erstkontakt zu unserer Corona-Infizierten, kam die Stunde der Wahrheit: Carlo hatte uns ein paar zusätzliche Schnelltests organisieren lassen, die wir nun einsetzten. Der Reihe nach nahm Michael die Abstriche vor. Anschließend saßen wir gespannt vor den Displays, auf denen die Ergebnisse sichtbar werden sollten. Wir konnten unser Glück kaum fassen: Wir waren negativ! Alle vier!  Zwar ist so ein Test bekanntermaßen nicht vollkommen sicher, aber wir waren zuversichtlich; wir hatten ja keine Symptome. Wir funkten die frohe Botschaft an Freunde und Familie. Anscheinend hatten die Hygienemaßnahmen an Bord Erfolg gehabt; wie durch ein Wunder hatte sich niemand bei Kira angesteckt.

Das Mädchen sah noch immer krank aus, turnte aber auf dem Vordeck aber schon wieder rum. Abends warfen wir die Leinen von der Boje los und machten eine Testfahrt, um die Lenkung auszuprobieren. Wir durften das wahrscheinlich nicht, aber es krähte ja ohnehin kein Hahn nach uns; wir mussten irgendetwas tun, um weiterzukommen mit diesem Schiff, zumindest auf der technischen Seite, auf der es noch einige offene Fragen gab. Wir konnten ja fast schon dankbar, dass die Lenkung bei unserer Abreise verrückt gespielt hatte, weil wir sonst auf und davon gewesen wären gen Westen. Nach fünfzig Meilen wäre es kaum noch machbar gewesen mit dem Kat nach Sardinien zurückzukehren. Wir hätten dann unterwegs irgendwann festgestellt, dass wir mit einer Coronakranken unterwegs sind. Keine schöne Vorstellung, auf einem Offshore-Törn, wenn man dann auch selbst mit einer Erkrankung rechnen muss…

 

26.04.21

 

Die Tage vergingen. Die Eigner des Schiffes, unsere Auftraggeber, waren verständlicherweise besorgt, dass das Ganze sich noch über Wochen hinziehen würde. Eine Werft wartete bereits auf diese Yacht, um einen Umbau vorzunehmen – all das war ausgebremst.

Wir versuchten uns zu schonen, um die Immunabwehr zu stärken. Und wir versuchten die Nerven zu bewahren, die Landschaft trug dazu bei. Einen Rückschlag erhielten wir, als Michael einen weiteren Abstrich bei Kira vornahm. Wir glaubten erst, dass dieser negativ war aber dann bildete sich an entsprechender Stelle doch noch ein winziger Strich aus, den man leider als „positiv“ deuten musste.

 

Am Abend hielten Anna und ich die Untätigkeit nicht mehr aus: In der Abenddämmerung paddelten wir mit dem Dingi ein ganzes Stück bis ans andere Ufer. Dort, etwas westlich von Porto Rotondo, lag eine grüner Hügel, der über und über mit Macchia und allen möglichen Wildpflanzen bewachsen war. Jetzt, Ende April, stand alles in voller Blüte. Wir liefen auf dem menschenleeren, zugewucherten Hügel herum und sogen die Gerüche ein. So müssen sich entlaufene Sträflinge fühlen.

 

 

27.04.21

 

Wieder nahmen wir einen Test bei Kira vor. Diesmal war der besagte Kontroll-Strich kaum noch zu sehen. Bedeutete dies nun, dass auch sie jetzt „negativ“ war? Oder noch immer schwach positiv.

Carlo, unser Kontaktmann bei den Italienern berichtete, dass sie mit der Maritimen Behörde verhandelten. Falls wir alle bei einem PCR-Test negativ getestet würden, könnte es relativ schnell gehen, stellte er in Aussicht. Wenn auch in anderen Fällen 14-tägige Quarantäne angeordnet worden war, so wollte man in unserem Fall ein Auge zudrücken.

 

29.04.21

 

Der Morgen unseres PCR-Tests war da. Geistesgegenwärtig schlug Michael vor, dass Kira, die ohnehin nicht mehr mitsegeln würde, gleich morgens ihre Sachen packen solle. Im Falle eines negativen PCR-Tests könnte sie dann gleich den Flieger nach Hause nehmen, das wäre für uns alle einfacher. Kira zeigte sich einverstanden.

Die Marina hatte uns erst mit einem Schlauchboot vom Schiff abholen wollen, nun aber teilten sie uns mit, dass wir bitte verstehen mögen, dass sie es zu ihrer eigenen Sicherheit doch nicht tun würden. Sie baten uns unser eigenes Beiboot zu nehmen, dass allerdings winzig war und keinen Motor hatte. Also ruderten Anna und ich erst Klaus und Michael herüber, dann – voll maskiert – Kira mitsamt Gepäck.

In zwei getrennten Taxis fuhren wir zum Testcentrum am Flughafen in Olbia. 800 Euro sollte der Test für uns 5 kosten, nicht gerade billig, aber dafür würden wir das Ergebnis schon nach 6 Stunden wissen.

Nachdem bei jedem von uns ein Abstrich genommen worden war, verabschiedeten wir uns von Kira und machten uns auf den Weg in die Stadt. Später fuhren wir mit dem Bus gen Cala dei Sardi, immer wieder aufs Handy schauend, auf dem die Sammelmail des Testcentrums über unseren Befund eingehen solle.

Wieder an Bord erreichte uns das Ergebnis: Alle negativ – bis auf Kira. Wir teilten es ihr per Whatsapp mit:

„Mist…“ antwortete sie.

Ich hatte ihr angeboten, dass – wenn alle Stricke reißen – sie in jedem Fall wieder zurück zu uns an Bord könne. Sie schlug jetzt aber von sich aus vor, nach einer Bleibe an Land zu suchen, in der sie während ihrer Quarantäne bleiben konnte. Ich versuchte sie dabei zu unterstützen, indem ich in Olbia herumtelefonierte, aber es war kaum möglich: Alle Hotels und Guesthouses, denen ich die Wahrheit erzählte, winkten ab und sagten, es täte ihnen leid.

 

 

30.04.21

 

Es dauerte noch einen Tag ehe die Behörde tätig wurde. Ich musste etwas unterzeichnen:

  1. In reference to the e-mails of Dr. XXX, Director of the USMA office in Porto Torres, dated 23/04 and 24/04, The undersigned Captain of the Baten Kaitos boat, number plate 4 OL 862 D

DECLARES

  • –  To have complied with the requirements indicated:
    • The crew used the personal cabin and bathroom;
    • The common areas were used by limiting co_presence and wearing masks;
    • Careful hand washing, environmental and personal sanitation and sanitation were carried out, as well as

appropriate ventilation of the rooms;

  • Disposable products were used for the table and kitchen items were washed in the dishwasher;
  • The waste will be collected
  • –  On 29/04/2021,
    • The crew was subjected to a molecular test, the results are attached.
    • Yesterday the passenger Lea Schneider, asymptomatic and negative twice in rapid tests carried out on

board by the crew doctor with all the required precautions, did a molecular swab. The swab gave a positive result and she moved to fiduciary isolation at “B&B Ciros House, Via Aspromonte 7, 07026 Olbia (SS)”.

Sanitary free practice is required in order to resume navigation to WILHELMSHAVEN / Germany

Captain Signature ____________________________

 

 

 

Ich unterschrieb und der Segelyacht wurde „free practice“ gewährt.

 

E’ in libera pratica sanitaria.

(Has been allowed free pratique).

 

Damit waren wir frei. Es dauerte noch ein paar Tage, ehe wir wirklich von Sardinien wegkamen, aber das steht auf einem anderen Blatt. Inzwischen befinden wir uns in der Ansteuerung von Alicante. Bis zum spanischen Festland haben wir es also beinahe geschafft.

Langsam verblassen die Erinnerungen an Sardinien und unsere unfreiwillige Quarantäne mit einer Coronakranken an Bord einer Yacht. So ganz werden wir die Sache aber nie vergessen. Vielleicht, hoffentlich, werden wir in fünf Jahren an die längst vergangene Pandemie zurückdenken, erinnern wie schön und schaurig es für uns alle war, an der Boje in der Cala dei Sardi.

 

Nachtrag: Den Katamaran haben wir natürlich unbeschadet nach Wilhelmshaven gebracht. Es gab einen Crew-Change in Portima. Dort hat Thomas Götzen als Skipper übernommen.

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