Yachtüberführung Transatlantik. Position 38 Grad 27 Nord und 16 Grad 13 West (etwa 370 Seemeilen westlich von Lissabon) 25. August 2019. Von Rainer Holtorff (Skipper der Catana 431)
Es war kurz vor Sonnenuntergang. Das Essen stand bevor. Es war meine Wache. Der Nordnordost wehte mit 6 Windstärken, ließ drei Meter Wellen auf uns zurollen. Wir hatten auf das 2. Reff im Groß reduziert, das Vorsegel nur halb draußen. Wir kamen gut voran, immer wieder schoß die Logge auf über 10 Knoten hoch.
Wir hatten Nantucket vor über 3 Wochen verlassen, die Azoren vor 3 Tagen. Seitdem hatten wir jede Menge Wind gehabt, überwiegend von vorn. Es gab keinen Schiffsverkehr. Vor uns war außer Wellen nichts zu sehen.
Aus dem Nichts tat es einen Schlag. Wir hatten viele Schläge von Wellen bekommen auf diesem Törn, doch dieser war dumpfer, gewaltiger. Der Steuerbordbug wurde angehoben und senkte sich wieder. Alle stürzten ins Cockpit und sahen das riesige Tier in unserem Heckwasser. Ein Pottwal. Quer zum Schiff. Er blies immer wieder aus, wirkte angeschlagen, getroffen. Für eine Sekunde dachte ich, wir könnten zurückfahren. Aber was konnten wir tun? Und was würde der Wal uns tun? Schon verschwand er achteraus, die Yacht hatte wieder Fahrt aufgenommen, entfernte sich mit uns. Wir rannten nach vorn, um zu sehen, ob der Rumpf beschädigt war, konnten nichts erkennen. Schauten in die Vorpiek, doch die war trocken. Wir setzten uns hin und aßen. Erst während der Mahlzeit fiel mir ein, dass wir zwar am Bug nachgesehen hatten – aber vielleicht war ja auch was am Heck – Ich kontrollierte den Maschinenraum an Steuerbord und musste zu meinem Schrecken feststellen, dass das Wasser bereits um die Maschine herum schwappte. Obwohl die Bilgepumpe auf vollen Touren lief, begann das Wasser dort unten zu steigen. Wir reinigten den Filter, aber es brachte nichts: Die Pumpe lief heiß, schien nichts mehr zu fördern. Wir hofften, dass das Wasser nur bis zur äußeren Wasserlinie steigen würde, doch es stieg höher. Wir bemerkten, dass es durch Kabeldurchlässe, etwa einen halben Meter vom Boden, in den vorderen Teil des Schwimmers rüber lief, wo sich der Wohntrakt befindet. Erst nur einige Tropfen, dann ein Rinnsal. Schließlich presste es dort regelrecht hindurch. Ich versuchte den Durchlass abzudichten, indem ich mit aller Kraft Dinge hineintrieb, doch vergeblich: Das Wasser wurde mehr. Die Bilgepumpe, die diesen Teil leeren sollte, fiel nach kurzer Zeit aus. Wir reinigten den Filter, aber auch dies brachte nichts. Die manuelle Pumpe, die es ja auch noch gab, zog Luft. So sehr wir auch pumpten, sie förderte einfach nichts. Ich griff zum Satellitentelefon und erreichte Bremen Rescue – die Seenotleitstelle für Schiffe unter deutscher Flagge. Ich wies darauf hin, dass dies kein Mayday wäre, noch nicht, nur ein Anruf. Mein Gesprächspartner erkundigte sich, ob wir Rettungswesten hätten. Ich entgegnete, dass wir fast 400 Meilen offshore wären, dann brach die Verbindung ab. Wenig später meldete sich die portugiesische Seenotrettung, das MRCC Lisboa. Viel Hoffnung, dass wir ein Vollaufen der Yacht verhindern würden, hatte ich da nicht mehr. Noch immer hatten wir ziemlich ruppigen Seegang. Und der Wetterbericht versprach für die kommenden Tage keine Beruhigung, ganz im Gegenteil.
Es war eine sternenklare Nacht. Das Wasser stieg. Ich bin da wohl in eine Art Starre verfallen, die letzten Tage waren ohnehin anstrengend gewesen, und jetzt fehlte mir der Plan, wie wir dieses Boot oben halten konnten. Don und Michael hatten sich in ihrer Freiwache hingelegt. Was konnten sie auch ändern? Anna wollte unbedingt etwas tun und redete davon, den Maschinenraum mit einem Eimer zu leeren. Mir erschien diese Idee sinnlos. Was würden wir erreichen, wenn wir diesen Raum lenzten? Er würde doch nur wieder volllaufen! Wir konnten doch nicht 3 Tage lang mit einem Eimer schöpfen, das würden wir nicht durchhalten! Ich beschloss, mich auf die Evakuierung zu konzentrieren und sagte Anna, sie könne ja loslegen, wenn sie unbedingt wolle. Mit Bikini und Eimer bewaffnet kletterte sie kurzerhand in den Maschinenraum und fing an, Wasser durch die offene Luke nach außen zu gießen, während die Wellen am Heck zu ihr hereinzurollen drohten. Über eine Stunde arbeitete sie im schwappenden Öl-Salzwassergemisch, nach einiger Zeit begann ich die Eimer anzunehmen und zu leeren. Dann hatte Anna den Maschinenraum tatsächlich gelenzt. Gemeinsam fanden wir die Ursache des Lecks: Einen Bruch im Laminat des Rumpfes über dem Skeg. Der Wal musste an dieser Finne hängen geblieben sein. Ich versuchte mit Lappen in den Riss zu treiben, aber das Wasser bahnte sich immer wieder seinen Weg. Es war nichts zu machen: Mit Bordmitteln würden wir dieses Leck nicht abdichten können. Also mussten wir das Wasser in den Griff bekommen… Da alle anderen Pumpen ausgefallen waren baute ich eine Duschpumpe um – und siehe da: Sie schaffte es, den Wasserspiegel im Maschinenraum niedrig zu halten. Zum ersten Mal seit der Kollision mit dem Wal hatten wir etwas Zeit gewonnen.
Es war früher Morgen. Don und Michael waren wieder fit. Zum Glück hatte sich an Bord noch eine Ersatz-Bilgepumpe gefunden, die die beiden verkabelten, mit Filter und Schläuchen ausstatteten und im Maschinenraum installierten. Als die erste Pumpe schon schwächelte, weil sie im Dauereinsatz zu heiß geworden war, begann die neue ihren Job zu übernehmen. Während dies alles geschah rauschten wir bei halbem Wind mit neun, zehn Knoten Speed gen Osten. Die Küste war noch über 300 Meilen entfernt. Das MRCC Lisboa erkundigte sich alle 6 Stunden via Satellit danach, ob alles in Ordnung war. Wir fanden wieder in eine Bordroutine, zu der das regelmäßige Lenzen des Maschinenraums gehörte: Jede Stunde musste der Wachhabende dort am Heck hinunter klettern (was bei Seegang ziemlich heikel ist) und die Pumpe anstellen. Nach etwa 20 Minuten musste die Pumpe wieder ausgestellt werden, damit sie nicht heiß lief. Der Wind frischte immer noch auf, was mir Sorgen bereitete. Die Kräfte, die auf Rumpf und Skeg wirkten, wurden ja immer größer. Immerhin kamen wir gut voran. Nur mit einer Maschine wäre der Katamaran auch elend langsam gewesen. Unter Segeln lag unser Etmal um die 190 Meilen.
In der letzten Nacht segelten wir mit raumen Wind und gutem Speed nördlich des riesigen Verkehrstrennungsgebietes Sagres auf das Kap Sao Vicente zu. Am Morgen des 28. August erreichten wir Portimão. Ein Taucher, ein Polizeiboot und der Surveyor der Versicherung erwarteten uns bereits. Nachdem der Rumpf durch den Taucher untersucht war, sind wir gleich in den Travellelift und wurden aus dem Wasser gehoben und an Land gestellt. Als wir mittels einer Leiter von Bord kletterten, staunten wir nicht schlecht: Die Seitenschwerter waren abrasiert. Und am Heck, war der angebrochene Skeg zu sehen, der am seidenen Faden hing. Das Wasser lief dort aus der Yacht heraus, so wie es vorher hineingelaufen war. Der Sachverständige bemerkte lapidar, dass es, falls es uns den Skeg ganz weggerissen hätte, wohl nicht mehr lange aufzuhalten gewesen wäre.
Die Co-Skipperin Anna Sult leert Wasser aus der Bilge
Abgebrochene Seitenschwerter