Was braucht es für die gelungene Auswahl einer professionellen Crew? 17.12.23 von Rainer Holtorff

 Offshoretörns brauchen eine funktionierende Crew. Doch worauf ist bei ihrer Zusammenstellung zu achten? Und worauf kommt es im weiteren Verlauf der Reise an? Yachtskipper.eu ist seit 25 Jahren professionell mit Yachten und Menschen unterwegs, hier wurden in den letzten Jahren hunderte von Yachtüberführungen organisiert. Ein paar Gedanken über die menschliche Seite am Arbeitsort Yacht:

 Auswahl des Skippers

Ein guter Captain muss neben profundem nautischem und technischem Wissen über ausgeprägte Moderationskenntnisse verfügen, um Unterschiede zwischen Crewmitgliedern auszugleichen und aufkommende Konflikte frühzeitig zu moderieren. Eine positive Herangehensweise an die anstehende Passage und die im Vorhinein notwendigen technischen und logistischen Aufgaben sichern ihm – oder ihr – das Vertrauen der Crew. Es gibt meist schon vor dem Ablegen Dinge, die nicht vorherzusehen waren – eine gelassene Art (Komme – was da wolle…!) ist die Beste Gegenwehr, damit auch die übrige Crew bei Problemen nicht gleich in Hysterie verfällt. Ansonsten würde ich bei den Anforderungen an diese Position auch klassische Führungsstärken benennen: Tatkraft, Autorität, Selbstbewusstsein, Kontaktfreudigkeit, Sorgfalt und Kalkül.

Das alles nützt aber nichts ohne Einfühlungsvermögen. Ich sage manchmal scherzhaft, dass man als Skipper auf Yachten wie eine Mutter fühlen können sollte. Scherz beiseite: Man muss einen Blick dafür haben wie es anderen geht, diese müssen sich von einem gesehen und gehört fühlen. Natürlich kann man eine Crew auch über Befehle führen, aber dann reagiert diese nur auf Druck. Wenn man emphatisch ist – und dazu gehört zum Beispiel schon die Eigenschaft, dass man mal zuhören kann – hat man Verbündete. Und darauf kommt es auf kleinen Schiffen an.

 

Auswahl der Crewmitglieder

 

Die Zusammenstellung einer Offshore Crew bleibt ein Lotteriespiel, wenn die Crewmitglieder noch nie in dieser Konstellation miteinander unterwegs waren. Denn selbst, wenn einzelne Crewmitglieder sich schon auf anderen Törns bewährt haben, bergen neue Zusammenstellungen immer Überraschungen. Jeder Mensch reagiert halt auf jeden Menschen anders. Des einen Humor ist bei Person A willkommen, während Person B diesen schon als geschmacklos empfindet. Dennoch kann man unter Einbeziehung von konkreten Referenzen das Risiko minimieren. Es nützt ja nichts, wenn jemand zum Beispiel von sich behauptet, dass er ein „umgänglicher Typ“ sei. Es gibt auch Wahnsinnige und schwer Depressive, die eine Tarnung aufrechterhalten, bis es sich nicht mehr verbergen lässt – und das wäre auf einer seegehenden Yacht zu spät. Offshore-Törns bilden eine besondere Risikokulisse, und nur durch konsequentes Nachfragen bei angegebenen Referenzen kann man unerfreuliche Überraschungen weitestgehend ausschließen. Ansonsten ist die Diversität der Kompetenzen bei Crews eine willkommene Eigenschaft. Es nützt ja nichts, wenn alle über profunde Maschinen- und Elektronikkenntnisse verfügen, aber niemand kochen kann – und umgekehrt. Diversität kann aber auch bedeuten ältere, erfahrene Crewmitglieder mit unerfahrenen, dafür aber tatkräftigen und körperlich robusteren zu kombinieren.

Die Abfahrt

Ich habe in einem Hafen an der Südküste Mallorcas mal eine segelnde englische Psychologin kennengelernt, die mir viel Wissenswertes über das Zusammenspiel von Menschen auf Yachten erzählt hat. Gruppenprozesse laufen – ihrer Meinung nach – oft nach einem ähnlichen Schema ab, wie es schon Bruce Wayne Tuckmann 1965 beschrieben hat. Durch die Enge an Bord gilt dies vielleicht um so mehr als an Land:

Das Prinzip heißt: Forming – Storming – Norming – Performing. Was steckt dahinter?

Forming:  Man kommt zusammen und es prallen Geschmäcker, Dialekte, Humor, politische Ansichten, etc. aufeinander. 

Storming: Man lässt seiner Persönlichkeit erst einmal freien Lauf, so wie man es sonst in seinem Umfeld gewohnt ist.

Norming: Man (oder Frau) stößt damit an Grenzen bei anderen. Es gibt No-Go’s für andere, die man nicht erwartet hätte. Man muss sich zurücknehmen, damit es nicht zum Streit kommt.

Performing: Die Grenzen sind definiert und haben die Gruppe nicht auseinanderbrechen lassen. Man respektiert die Empfindlichkeiten des anderen. Jetzt funktioniert die Gruppe und kann sich als Team dem Erreichen des Zieles widmen.

 

Sieht man sich bei der Enge an Bord besonderen Herausforderungen gegenüber, so hat man es bei der Ziel-Thematik leichter. Denn wenn man abgelegt hat, ist das Erreichen eines Zieles sehr konkret. Man hat A verlassen und B noch nicht erreicht. Alle an Bord streben ein Gelingen an.