Alicante, 07.07.18

Von Casacais brauchten wir einen Tag bis zum Kap Sao Vicente – der Südwestecke der Iberischen Halbinsel. Raume Winde schoben uns von der Algarve aus auf die Straße von Gibraltar zu. Als die Nacht kam türmten sich die Wellen achteraus immer steiler auf, das war nicht allen an Bord geheuer, aber man gewöhnt sich an vieles auf See, auch an eine rasante Abfahrt.

Die Straße von Gibraltar ist stets ein Grund zur Obacht. Alles nimmt zu: Verkehr, Strom, Wind, Wellen, schlechte Sicht. Wir erreichten Tarifa am frühen Nachmittag. Ab hier sind es 25 Meilen durch das engste Stück. Glücklicherweise waren Strom und Wind auf unserer Seite, wir kamen ganz gut voran. Mit einem Mal blies ein Finnwal vor uns, sein massiger Körper tauchte vor dem Bug auf und wieder ab, beinahe hätten wir ihn – trotz eines Ausweichmanövers – gerammt. Zwei Whalewatching-Boote mit zig Touristen auf dem Oberdeck jagten ihm mit viel Gedröhn nach. Dahinter: Containerschiffe, wie an der Perlenkette aufgereiht. Das marokkanische Ufer, die Hafenanlagen von Tanger im Dunst. Im Funk eine weibliche Stimme von Tarifa Traffic, die die Frachter mit andalusischem Akzent anrief. „Good Morning Sir, what was your last port of call? How many people on board? What’s your cargo? What’s your destination and E.T.A.?

Als sich die Bucht von Algeciras an Backbord öffnete legte der Wind noch mal zu. Der Affenfelsen ragte vor strahlend blauem Himmel auf. Ein schiefer Brocken, eine Abbruchkannte, auf der menschliche Bauten wie eine Bakterienkolonie wuchern. Ganz im Süden, stirnseitig, eine riesige Moschee. Unweit davon, wie in stiller Konkurrenz, Europa Point Lighthouse, seit 1838 betrieben von Trinity House in London.

Es pfiff um den Felsen herum, der Wind wurde noch stärker, der mitlaufende Strom war versiegt. Die Rückenflosse eines Hais schlängelte sich vorbei. Auf dem Wasser war eine Grenze zu sehen, dahinter schien es zu kochen, dort lief der Strom schon gegen den Wind. Wir waren erleichtert, als wir in den Windschatten des Affenfelsens erreichten. Vereinzelte Fallböen konnten uns nicht mehr anhaben, wir hatten das Mittelmeer erreicht.

Als die Nacht kam lebte der Wind in der Alboransee wieder auf. Die Düse aus der Straße schickte uns 6-7 Windstärken. Nun bin ich es, der Bedenken anmeldet, angesichts der steilen, dicht hintereinander laufenden Wellen und unserer Müdigkeit. Die Passage der Straße von Gibraltar hatte den Wachplan aufgelöst. Doch wir blieben draußen, ließen die AMARA laufen, kreuzten in langen Schlägen vor dem Wind.

Am nächsten Vormittag glättete sich ringsum die See. Wir setzten den Parasailor, aber dann fiel auch dieser in sich zusammen, bald motorten wir durch die Flaute.

Als die Sonne unterging, standen wir am Cabo de Gata, östlich von Almeria. Eine Sicherheitsmeldung erreichte uns über Funk: 40 Afrikaner sollen hier irgendwo in einem Gummiboot treiben. Man ist aufgerufen, die Augen offen zu halten. Ein Hubschrauber der Guardia Costeria schwebte über uns hinweg, auch ein Suchboot war im Einsatz. Wir schalteten das Radar ein, hielten Ausschau. Wie entscheide ich, wenn ich die hier draußen treffe? 40 arme Teufel passen hier nicht an Bord, die Hälfte aber schon. Wir begegneten niemandem, außer Fischern.

Als wir das Kap Palos am Mittag erreichen kehrt der Wind zurück, diesmal von vorn. Thomas und Sven trimmten die Segel mit viel Geschick, die Amara lief gut, hoch am Wind. Vor Mitternacht machten wir in Alicante fest – 5 Tage nach Cascais.

Alicante ist eine alte Bekannte. Vor 6 Jahren habe ich hier mal ein paar Monate verbracht. Es fanden damals gerade die Vorbereitungen auf das Volvo-Ocean-Race statt, es war eine Menge los. Der Platz, wo sonst die Open 60‘s liegen ist jetzt verlassen. Ich texte Estefania, die zu dieser Zeit in der Organisation des Rennens gewirkt hat, frage sie, ob sie spontan Zeit für mich hat. Ich handle mir damit zwar den Spott der Crew ein – aber der perlt an mir ab: Ich habe doch seit Wochen nur Männer um mich, es kann doch nicht verkehrt sein, sich mal mit einer Frau zu unterhalten.

Wir verlassen die Yacht. Nach 5 Tagen auf See muss ich mich immer ans Land gewöhnen. Alicante macht es einem da leicht. Nach einer späten Mahlzeit ziehen Thomas und ich noch durch die Nacht. In der Altstadt gehen die Leute aus. Es ist trotz der späten Stunden heiß und voll in den Gassen, dass man sich mitunter hindurchzwängen muss. Das ist etwas befremdlich nach lauter Einzelwachen unterm Sternenzelt.

Am nächsten Tag gehe ich in der Brandung schwimmen, schaue Fußballweltmeisterschaft in einem Irish Pup und warte vergebens auf ein Lebenszeichen von Estefania. Habe sie fast 5 Jahre nicht gesehen, hoffentlich geht es ihr gut. Manfred und Sven bereiten die Amara auf die letzten 160 Meilen vor. Die Strecke erscheint einem angesichts der bereits gefahrenen Meilen fast schon winzig, aber Vorsicht, man sollte den Respekt nie verlieren.

 

Gegen Mitternacht legen wir ab. Bei nordöstlichen Winden ‚klammern‘ wir uns an die Costa Blanca, um Gegenwind und Welle klein zu halten. Wir ziehen vorbei am Kap L’Horta, an Benidorm, Calpe, verlassen die Küste 5 Meilen vorm Cap de la Nao.

 

Als die Berge hinter uns im Dunst verschwinden, erreicht mich eine Textnachricht von Estefania: „Ich würde mich freuen, Dich zu sehen…“

Wir sind wieder auf dem Meer, ohne Landsicht. Der Wind schläft am Nachmittag ein. Ibiza und Formentera kommen am Abend in Sicht, wir durchqueren die Meerenge zwischen den Inseln bei Anbruch der Nacht unter Motor. Der Mond ist noch nicht aufgegangen, die Milchstraße leuchtet unwirklich schön.

Am Morgen kehrt der Wind zurück, was an Bord stets mit großer Freude aufgenommen wird. Umrisse Mallorcas tauchen aus dem Dunst auf. Der Wind legt weiter zu, wird achterlich. Wir kreuzen in die Bucht von Palma, erreichen El Arenal am frühen Nachmittag. Zwei fröhlich winkende Frauen warten auf der Pier. Sie sind erleichtert ihre Männer in die Arme zu schließen. Ich freue mich mit ihnen, packe dann meine Badesachen, um endlich ein paar Bahnen zu schwimmen, ich brauche das nach soviel Zeit auf engstem Raum. Ich gehe über die Uferstraße zum Strand. Deutsche Zeitungen, deutsches Essen, deutscher Provinzmief: Man segelt 2.500 Meilen und endet am Ballermann, wo es weniger international ist als auf Sankt Pauli. Ich quetsche mein Handtuch an den Strand, wo Flyer herum wehen. Ich lese einen auf: Almklausi tritt heute Abend im Megapark auf, danach ist Wet-T-Shirt-Night. Ich wate ins Wasser, das voller Menschen ist, die herumliegen wie in einer riesigen Badewanne. Ich schwimme raus, ziehe meine Bahnen zwischen zwei Tonnen. Mir fällt ein, dass man im Süden des Archipels vor ein paar Tagen einen Weißen Hai gesehen hat. Wird schon nicht ausgerechnet hier rumschwimmen, denke ich und bemühe mich dennoch, nicht zu hart einzutauchen.

Ich trockne am Strand in der Sonne. Mir fällt auf, dass es an diesem Strand kein einziges Kind gibt. Ich schließe die Augen. Erst ist es nur ein spitzer Schrei, dann rufen viele Menschen durcheinander. Ich schaue aufs Wasser: Die Badenden fliehen in heller Panik ans Ufer. Dahinter spritzt es, wird aufgewühlt, immer wieder gellen Schreie. Irgendjemand brüllt „Da ist er! Der Hai!“

Ich wache auf. Muss wohl kurz eingenickt sein. Bin ja auch erschöpft vom Törn,  3 1/2 Wochen von Cuxhaven.