Yachtüberführung Atlantik

Von Rainer Holtorff

Dienstag, 30.12.2014, 19 Uhr. Kapverdische Inseln, Boa Vista, Sal del Rei.

Ich habe den Auftrag, eine Yacht über den Atlantik zu bringen. Wie es dazu kam? Ich befand mich vor ein paar Tagen im Schwimmbad in Hamburg-Altona. Als ich nach dem Ankleiden mein Handy anschaltete, sah ich, dass ich eine Nachricht bekommen hatte:

„Wir suchen schnellstmöglich einen Co-Skipper für die Strecke Kap Verden, Mindelo nach St. Maarten, Karibik. Wir haben einen Katamaran Privilege 465. Wir segeln zu Dritt. Sollten Sie jemanden zur Verfügung haben, bitten wir um Preismitteilung und Details zur Person.
Vielen Dank im voraus. „


Da schickst Du deinen besten Mann, dachte ich und schrieb zurück, dass ich es machen würde, wenn der Preis stimme. Prompt kam eine Antwort. Nach einigem hin und her wegen der Heuer, fragte ich nach dem technischen Zustand des Schiffes, nach dem Wesen der Crew. Es schien soweit alles ok zu sein. Doch Holzauge sei wachsam: Über den Atlantik segelt man in 2/3 Wochen. Wenn man da miteinander oder mit der Technik Probleme bekommt, kann es eng werden. Ich war aber schon öfter ins kalte Wasser gesprungen. Hier bestand zumindest die Aussicht, dass das Wasser im Verlauf des Törns immer wärmer werden würde.

Ich bin auf dem Weg zum Einsatzort. Die einzige Möglichkeit, diesen zeitnah zu erreichen, war, über die Kapverden-Insel Boa Vista zu fliegen. Mit einer TUI-Maschine, voller Touristen. Ich habe manchmal solche Zubringer zu Einsätzen. Die erscheinen mir immer etwas grotesk, weil ja alle Mitreisenden im Urlaubsmodus sind, ich selbst aber auf dem Weg zur Arbeit.

Da ich auf Boa Vista länger als 24 Stunden Aufenthalt habe, könnte es schwer werden, sich dem Urlaubsgefühl zu entziehen. Ich war schon häufiger auf den Kapverden, aber nie auf Boa Vista. Eine Freundin, die in Mindelo eine Reiseagentur betreibt, gab mir den Tip in der kleinen lokalen Pension „Bom Sossego“ abzusteigen.
Kaum dort angekommen, hatte ich die TUI-Urlauber abgeschüttelt, denn die würden hier wahrscheinlich nicht einchecken. Natürlich hat so eine lokale Pension auch Nachteile. Zum Beispiel fragte ich mich, trotz des netten Empfangs durch eine nicht Englisch sprechende, rundliche Kapverdianerin, ob meine Wertsachen – Kamera, Handy, Computer, etc. dort tatsächlich gut aufgehoben seien, wenn ich das Zimmer verlasse. Ich war zunächst skeptisch und schleppte alles auf meine Besichtigungsrunde durch die Stadt mit. Dann begann ich, mir ziemlich blöd vorzukommen, woraufhin ich das Zeug wieder in die Pension brachte, und mich entschied den Menschen auf Boa Vista zu trauen.

In Anbetracht der Aussicht, 2/3 Wochen auf einer Yacht zu sein, ohne die Beine groß bewegen zu können, lief ich aus Sal del Rei raus, ein Stück gen Süden, wo Buden und Liegestühle stehen und Surfbretter vermietet werden. Ich kraulte lange in flachem Wasser vor dem Strand, wo der Leeschwell kleine Steine hin und her rollt und ein paar bunte Fische zu sehen waren.
Danach Teatime auf der Holzveranda einer Surfstation, wo eine Happy Hour im Gange war. Das Salz brannte noch auf meinen Lippen, ich sah vorbei an der ILheu del Rei und ein paar ankernden Yachten, auf die Horizontlinie. Kapverdianische Musik. Der Passat schickte eine Bö über die Dünen. Endlich war ich wieder auf diesem Ozean-Archipel angekommen. Er zieht mich einfach an. Äußerlich so karg, doch im Inneren so reich.

Donnerstag, 01.01.2015. Kapverdische Inseln, Sao Vicente, Marina Mindelo. 09:00 Uhr.

Um nach Mindelo zu kommen, musste ich 2 verschiedene Propellermaschinen nehmen. Im Flughafen von Sal fiel mir eine schwarzhaarige, hellhäutige Frau auf, die eine Schwerwettersegeljacke trug, obwohl die Temperaturen über 25 Grad lagen. Ich fragte sie kurzerhand, ob sie segeln gehen würde. Sie hieß Nathalie, war Franko-Kanadierin und Mutter zweier kleiner Kinder. Sie segelte zuhause von Kindesbeinen an und war nun auf dem Weg zu der Yacht, mit der sie sich ihren Traum einer Ozeanpassage erfüllen würde. Sie erzählte, dass ein Bekannter in Mindelo auf sie warten würde, von wo aus sie gemeinsam am 2. Januar gen Martinique aufbrechen wollten. Das wir damit am gleichen Tag ablegen würden, empfanden wir beide irgendwie als tröstlich. In Anbetracht der vor einem liegenden, riesigen Wasserfläche freut es einen, wenn man weiß, dass es Leute gibt, die dort draußen den gleichen Weg haben wie man selbst. Denn der große Pulk der Transatlantiksegler war schon längst in der Karibik. Jetzt waren doch höchstens noch ein paar Nachzügler unterwegs.

Wir sprachen auch darüber, welche Bücher man eingepackt habe, für so eine lange Zeit und fanden die Auswahl des anderen interessant. Wir verabredeten eine Bücherübergabe mitten auf dem Atlantik – jeder von uns würde dem anderen seine ausgelesenen Exemplare zuwerfen.

Auf dem Flug nach Sao Vicente saß ich neben einem Mittdreißiger mit Basecap. Leider waren unsere Scheiben beschlagen, weswegen ich achselzuckend bemerkte: „Not much to see…“ „There is not much to see anyway – because there is nothing“, kam es lapidar zurück.
Ich antwortete:
„True. But the real wealth of this archipelago is lying under water….“ Ich hatte hier ein paar Winter über als Charter-Skipper gearbeitet und wusste, wovon ich sprach.

Er sah mich erstaunt an. Anscheinend hatte ich mit dieser Aussage für ihn den Status eines Touristen verloren. Er erzählte mir, dass er Italiener und Skipper
 einer Privatyacht sei, die einem Russen gehöre und in dieser Gegend mit Schleppangeln ausgerüstet, fische.
Ich berichtete ihm, dass auch ich hier ein paar Winter mit Touristen rumgesegelt war – und dies führte zu einer lebhaften Unterhaltung über die Eigenheiten dieses Seereviers. Zum Beispiel über die sogenannte „Kanäle“, die Passagen von Insel zu Insel; über die Bank von Razo , auf die der Atlantik mit voller Wucht prallt, so dass man beim Überqueren aufpassen muss. Über die Westseite von Sao Nicolao, wo die Düse richtig abgeht. Natürlich auch über Santa Luzia, die schöne, wilde, unbewohnte Insel. Gezeiten. Fische – und schließlich die Menschen, rund um die Marina von Mindelo, von denen wir einige gemeinsame Bekannte zu haben schienen. Er erzählte mir, dass ihn eine Kapverdianerin namens Soraya vom Flughafen abhole. Soraya, ich musste unwillkürlich lächeln. Ich kannte sie noch aus dem Club Nautico, wo sie früher den Seglern den Kopf verdreht hatte.

In der Marina erwarteten mich meine Auftraggeber in einer Bar. Ein Paar in seinen 50ern. Sie erzählten, dass ihnen ihre ursprüngliche Crew aufgrund von Krankheit abhanden gekommen sei und sie deshalb auf dem Schlauch stünden. Es hätten sich in Mindelo zwar zuletzt ein paar junge Männer angeboten, aber hinsichtlich der Länge eines solchen Törns sei es ihnen lieber, jemanden dabei zu haben, der nicht so ein unbeschriebenes Blatt ist. Ich legte meinen Seesack in meiner Kabine ab und warf einen Blick auf das Schiff. Der 49 Fuß Privileg Katamaran war zehn Jahre alt und machte einen guten Eindruck. Kein Renner, eher ein luxuriöses und solides Fahrtenschiff.
Wir bewunderten das Sylvester-Feuerwerk von der Yacht aus und stießen auf den Törn an. Die Menge am Ufer wurde beim Abfeuern der Raketen zu Begeisterungsschreien hingerissen. Vom Ufer aus wurden auch mindestens ein Dutzend roter Seenotsignalraketen abgefeuert. Sie stiegen auf, schwebten unter gleißend an ihren Fallschirmen über unsere Köpfe hinweg, bis sie in der Baia Grande zwischen den ankernden Schiffen ins Wasser fielen.

Das Eignerpaar blieb auf der Yacht, während ich mich danach aufmachte in den Strassen von Mindelo nach alten Bekannten Ausschau zu halten. Ganz Sao Vicente schien auf den Beinen, dazwischen ein paar Weiße, hier wurde „Boas Festas!“, dort „Bom Anno!“ gerufen. In der Rue Lissboa, die zum Justizministerium hinaufgeht, war eine Bühne aufgebaut, auf der eine Band in Orchestergröße spielte. Wenn es um Musik geht, werden auf den Kapverden nie Kompromisse gemacht.
Ich bog nach links ab, landete auf der Strasse, die von dem Hauptplatz, der Prassa, den Berg hinauf geht. Dort oben hatte ich vor ein paar Jahren während zweier Winter gewohnt. In den Wochen, in denen ich keine Törns fuhr, durfte ich in einem Haus einhüten, das man nur den „Palaccio“ nennt und von dem man einen Blick über die Stadt hat.

Auf halben Wege dorthin, hatte sich Bruno mit seiner Boudegita da Mindelo eingenistet.
Wir waren 2007 mehr oder weniger zeitgleich in Mindelo angekommen. Er stammte von Martinique, trug damals einen kurzen, blondierten Rastahaarschnitt und hatte eine Vergangenheit in der Gastronomie. Ich glaube, die Liebe hatte ihn auf die Kapverden verschlagen. Die Liebe ging, doch Bruno blieb.

Die Boudegita war eine Szene-Kneipe. Die Wände waren mit Filzstift bekrickelt, in Rahmen hingen Porträts von Mahatma Ghandi, Nelson Mandela, Martin Luther King, Che Guevara und – Hugo Chavez. Dies sah ganz und gar nicht nach einem Touri-Laden aus. Es war eine wilde Party im Gange. Kapverdianer, Franzosen – und mittendrin: Bruno.
Wir waren uns vor über einem Jahr zuletzt begegnet, als ich für ein paar Tage mit einem anderen Yacht da war. Nun freute er sich anscheinend, mich zu sehen. Wenn man in einem fernen Hafen, Menschen trifft, die sich freuen einen wieder zu sehen, wird die Fremde ein Zuhause.

Der Neujahrstag verging schleppend. Wir hätten wohl schon abgelegt, konnten aber wegen des Feiertages nicht ausklarieren. Am Vormittag sah ich mir die Yacht mit dem Eigner gründlich an: 2 Volvo-Penta-Motoren à 40 PS: Ein Wechselstromgenerator. AGM Batterien mit 700 Amperestunden. Solarzellen. 2 Selbsteueranlagen, aber nur ein Antrieb. Ein leistungsfähiger Wassermacher, der aber leider ein Problem hat, eventuell ist der Regler kaputt. Fast neuwertige, hochwertige Segel von Incidences, 2 Parasailor, ein Genaker, durchgelattetes Großsegel, keine Sturm- oder Starkwindfock. Kein Treibanker. Ein E-Herd, der nur in Verbindung mit dem Generator läuft. Ein Gasofen. Alle standardmäßigen Seenotsignalmittel vorhanden. AIS. Ein Iridium-Handy, eine Inmarsat-Anlage. Kein Sextant. Ein Übersegler, ansonsten elektronische Seekarten, jedoch 2 verschiedene Systeme. Der letzte Riggcheck war auf den Kanaren vor ein paar Wochen. Machte alles einen guten Eindruck.

Ich rief noch einmal bei der Familie an, traf ein paar weitere alte Bekannte aus meiner Zeit in Mindelo; schwamm am Strand von Laghinia meine Bahnen, trank Kaffee mit einem französisches Pärchen, dem ich am Abend zuvor bei Bruno begegnet war. Dann hätte ich eigentlich in alter Matrosentradition in einer Hafenbar feiern müssen, um den letzten Abend an Land irgendwie zu nutzen – ich ging aber lieber früh schlafen.

Am nächsten Tag, dem 2. Januar wäre das Ausklarieren dann fast gescheitert, weil die feierfreudigen Grenzschützer einen Brückentag zwischen Neujahr und dem Wochenende eingeplant hatten. Aber sie ließen sie sich dazu erweichen, uns dennoch freizustempeln.
 Dann noch die letzten frischen Lebensmittel besorgen, ein paar Hände schütteln und Schulterklopfen ernten, zu guter Letzt tanken, oder besser: Sich in die Reihe der Wartenden einreihen. Wir waren nicht die einzigen, die an diesem Tag auf Langfahrt gehen wollten. „Twin Spirit“, ein niedrigbordiger Katamaran mit einer französischen Familie an Bord blockierte die Tankstelle für eine gute Stunde, ehe sämtliche Wasserkanister und Dieseltanks gefüllt waren. Hinter uns drehten drei junge Norweger in einer 28 Fuß Nussschale ungeduldig ihre Warterunden. Sie hatten mir am Steg erzählt, dass sie nach Brasilien wollten.

 

Um 15:00 am 02. Januar 2015 verließen wir die Bucht von Mindelo.

Noch ein paar schemenhafte Eindrücke von Sao Vicente, dann nahm uns die Düse des Mindelo-Kanals mit hinaus auf die freie See.

Ich musste an die Worte von Lutz Meyer-Scheel denken: „Immer schön rechts fahren….“, hatte er uns zum Abschied in seiner Marina mit einem Zwinkern auf den Weg zugerufen. Darin steckte der wohlgemeinte Ratschlag, wir sollten nicht unbedingt südlicher als auf dem sechzehnten Breitengrad segeln, um stets genügend Wind zu finden. Andererseits war es auch eine freche Verniedlichung unseres Vorhabens. Zugegeben, eine Ozeanpassage ist heutzutage eigentlich nichts Besonderes mehr: Satellitennavigation, Meteorologie und sackweise Erfahrungen stehen dem Überquerer zur Verfügung. Andererseits hätte ich Lutz, wäre ich in jenem Moment nur schlagfertig genug gewesen, zurufen können: „Die klügsten Kapitäne stehen an Land!“ Denn auch heute gibt es bei so einer Fahrt ja noch immer genügend Unwägbarkeiten. Materialbruch etwa, oder Ärger untereinander. Wer kennt sie nicht, die Geschichte der Segelyacht Apollonia? Die Anspannung beim Beginn einer Transatlantik-Passage ist naturgemäß vorhanden, weil man schon nach einem kleinen Teil der Strecke, kaum eine Möglichkeit hat, umzukehren. Ein westsetzender Strom, ein gleichmäßig starker Nordostwind und entsprechender Seegang lassen diese Richtung gar nicht mehr zu. Es liegen, ob man will oder nicht, viele Seemeilen vor einem, für die eine normale Yacht lange braucht.

 

 

Montag 5 Januar, 4. Reisetag. 16:33 Uhr.

400 Seemeilen westlich von Santo Antao

Trotz respektvollen Abstands blieben wir im Windschatten der westlichsten Kapverdeninsel Santo Antao hängen.
Daraus entkommen, ging es stetig voran. Der Passatwind weht seither ununterbrochen, die Wellenhöhe beträgt um die zweieinhalb Meter. Wir haben uns in einen Wach-Rhythmus eingelebt. Ich, als Dienstleister, habe die permanente Hundewache übernommen. Sie beginnt um 23:45 und endet um 5 Uhr morgens.
Es ist im Prinzip nicht viel zu tun. Wellenberge schieben uns voran, der Kat rollt ein wenig, bleibt aber stabil. Der Autopilot steuert seinen etwas unsauberen Kurs – und wird dies hoffentlich bis zum Ende der Reise tun.

Heute Morgen gab es Aufregung und Geschrei, als wir den Genaker bei auffrischendem Wind nicht mehr einrollen konnten. Was wir auch versuchten, stets blieb noch ein Teil des Segels draußen und der Wind zerrte daran mit Macht. Es sind Situationen wie diese, die man mit kleiner Crew nicht erleben will, weil sie schnell unkontrolliert werden können. Wir ließen das störrische Segel schließlich am Fall ab, und es landete im Wasser – woraus wir es triefend bargen. Niemanden war etwas passiert. Für meinen Geschmack hätte das Manöver ruhiger ablaufen können, selbst wenn dabei etwas schief geht. Andererseits kann ich die Sorge des Eigners ja auch verstehen. Nicht auszudenken, man würde sich hier draußen eine schwere Kopfverletzung zuziehen, weil man einen Beschlag abbekommt. Vielleicht könnte man über das Sattelitentelefon einen Notruf absetzen und so wäre ein Frachtschiff gezwungen, seinen Kurs zu ändern und jemanden zu bergen. Aber bei diesem Seegang jemanden bergen?

Das Paar, das mich angeheuert hat, will die Passage nur hinter sich bringen, um die Annehmlichkeiten der Karibischen See zu genießen. Ich finde es hier mitten auf dem Ozean gerade viel schöner als in der Karibik. Vorangetrieben durch Wind und Wellenberge, ohne von A noch einen Funkspruch kriegen zu können, ohne B in Reichweite zu haben. Kein Internet. Kein Handy. Keine Nachrichten. Kein fremdes Schiff. Was für eine Wildnis. In einer Woche werden wir noch immer Wellenberge hinunter fahren. Vielleicht auch noch in 2 Wochen. Was für ein Anachronismus, in einer Zeit, in der man in die entlegensten Winkel der Erde kaum länger als 2 Tage unterwegs ist. Dabei fühlt es sich ja keineswegs langsam an. Überall rauscht und gluckert es, die Wände meiner Kabine bewegen sich auf und ab, die Decke neigt sich nach vorne, nach hinten, hin und wieder klopft eine Welle an den Rumpf, von Zeit zu Zeit gibt es einen Schlag wie mit einem Vorschlaghammer, wenn eine Welle mit voller Breitseite trifft. Es hebt sich und senkt sich die Welt und es ist grau. Ein norddeutsches Grau, in dem ich mich einfach wohl fühle.

 

Dienstag, 6. Januar 2015. Fünfter Reisetag.

Ca. 500 Seemeilen westlich von Santo Antao

Die Nacht war bewegt. Drei Meter hohe Wellenberge rollten von Achtern auf uns zu und unter uns durch, Schaumkämme blitzten im Vollmond auf und brachen sich gurgelnd hinter dem Schiff. In den ersten Nächten hatte ich meine Wache noch im Freien verbracht, aber nun bin ich in den Salon gezogen und habe nur alle 15 Minuten draußen nach dem Rechten gesehen. Das Geräusch der brechenden Wellen war einfach zu laut. Drinnen ging es dann wieder. Insgesamt aber keine schöne Nacht.

Beim Frühstück ist die Stimmung so verhangen wie der Himmel. Meine Mitsegler lassen ihrem Unmut freien Lauf: Was für ein Wetter! Was für Entbehrungen! Welches Gewackel! Als mir ein Messer vom Tisch segelt und scheppernd auf den Boden fällt, ruft der Eigner: „Ach bitte, schone doch meine Nerven…!“
Ich frage, was denn erst los sei, wenn wirklich mal etwas geschieht. Schweigen. Dann eine Entschuldigung und die Bemerkung, dass sein Nervenkostüm im Moment wohl nicht das Beste sei.
Ich kann die Anspannung verstehen. Wir fahren da raus, 4000 Kilometer auf die See, wo Reparaturen nur mit Bordmitteln möglich sind. Wo Risiken lauern: Wenn jemand krank wird. Wenn etwas kaputt geht. Wenn man mit Treibgut kollidiert. Und für den Skipper ergeben sich noch andere Themen: Ist er seiner Sorgfaltspflicht in jeder Hinsicht nachgekommen? Hat er genug Lebensmittel dabei, falls wir vier Wochen treiben? Kann er bei dem technischen Zustand des Schiffes eine solche Passage überhaupt verantworten? Natürlich ist es besser, wenn der Skipper ruhig bleibt. Der Profi wäre es geblieben. Aber vielleicht auch nur, weil der gelernt hat, seine Nervosität an Bord vor anderen zu verbergen.

 

Mittwoch, 7.Januar, 6.Reisetag. 660 Seemeilen westlich von Mindelo

Es gibt 2 Neuigkeiten:


1. Die Einheiten des Iridium Handy sind verbraucht. Wir haben nunmehr nur noch eine stationäre Verbindung via Satellit, aber keine die man zum Beispiel mit in die Rettungsinsel nehmen könnte.


2. Es gibt anscheinend ein massives Azorenhoch, das sich von der neuen bis in die alte Welt erstreckt. Die Konsequenz daraus: Zunehmender starker, bis stürmischer Wind und Wellen. Zurzeit gibt es auf unseren Breiten wohl 25-35 Knoten Wind und 4 m Welle für die kommenden 7 Tage.
 Die Stimmung an Bord ist – trotz permanenten grauen Himmels – gut. Wir blicken dem Wind mit Humor entgegen. Wir sind mit einer defensiven Besegelung unterwegs; 75 % Genua, kein Großsegel. So schiebt es uns die Wellen hinunter, die sich stetig aufbauen. Wir sind langsam, aber ich kann diese Vorsicht verstehen: Weniger Speed gleich weniger Druck und auch weniger Bruch.
Wenn alles so weiterläuft, müssten wir in drei Tagen Bergfest haben und in einer guten Woche darauf irgendwo in der Karibik an Land klettern.

 

Donnerstag, 8. Januar. 7.Reisetag. 800 Seemeilen westlich von Mindelo.

Heute Nacht nahmen die Squalls gar kein Ende mehr. Das Wellenbild war chaotisch. Ein paar Mal konnte der Autopilot seinen Kurs nicht mehr halten. Das Vorsegel schlug back und das Schiff stampfte, bis es endlich wieder auf Kurs kam. Drinnen bumste, bollerte, rumpelte und schepperte es. Es ist schon beeindruckend, wie wenig man dem Meer mit 19 Tonnen entgegenzusetzen hat. Nähern wir uns hier irgendwie dem Limit? Plötzlich lag Gefahr in der Luft, die reale Möglichkeit, dass wir hier draußen Schiffbruch erleiden könnten, wenn es zu einer Verkettung von Umständen kommen würde. Allerdings haben wir seit unserer Abreise kein anderes Schiff mehr gesehen, auch im Funk oder auf dem AIS – nichts. Wer sollte einen hier draußen nur bergen?


08:55 Uhr
 Der Tag ist grau, langsam nervt es auch mich. Die Wellen sind länger geworden und an Bord herrscht Galgenhumor. Jetzt gilt es, sich in seiner Freiwache auszuruhen, um da zu sein, wenn man gebraucht wird.

13:33 Uhr
 Die See baut sich noch immer auf, manche Brecher sind haushoch. Immerhin, der Katamaran liegt gut auf dem Ruder. Meist heben die Wellen beide Rümpfe sauber an und laufen unter uns durch.
Tagsüber kann man die Regenschauer gut erkennen. Unter ihnen ist kein Horizont mehr zu sehen. Ist die Wolke fast am Heck, geht der Wind auf über 35/40 Knoten hoch und dicke Tropfen fliegen waagerecht. Nach ein paar Minuten ist der Druck wieder raus, es wird heller, der Wind nimmt ab.


16:35 Uhr
 Der Passatwind hat sich am Nachmittag gegen die Regenschauer durchgesetzt und Ordnung gebracht. Zwar weht er noch immer um 25/30 Knoten, aber konstant, und die Wellen laufen auch nicht mehr aus verschiedenen Richtungen auf die Yacht zu. Sanft wird das Heck drei, vier Meter gehoben, dann sinkt es wieder ins Tal. Toller Rhythmus. Große Energie. Ich kann das auch genießen.

Samstag, 10.Januar. 9. Reisetag. 1100 Meilen westlich von Mindelo. 10:00 Uhr

Wieder eine Nacht, die es in sich hatte: Erst ließ der Wind nach und die Yacht wurde in der aufgewühlten See wie ein Spielzeugschiffchen hin und her geworfen: Sie stampfte und rollte, das auf meiner Hundewache an ein Eieruhr-Nickerchen nicht mal zu denken war – dann zog eine schwarze Wand auf und es schüttete wie aus Eimern. Ich hatte zum Glück noch gerefft, denn es wurde sehr windig. Normalerweise ist so eine Squall nach 10 Minuten durchgezogen. Diese aber blieb uns lange erhalten. Immer neue, dunkle Zellen kamen von Osten hinter uns auf und luden ihre nasse Fracht über uns ab.
Als ich am Morgen erwachte, war – zum ersten Mal seit Beginn der Passage – keine Schichtbewölkung mehr zu sehen, sondern Blumenkohlwolken, blauer Himmel und Sonnenschein. An eine „normale“ Passatwetterlage war jedoch nicht zu denken, das spürte ich schon, bevor ich noch müde aus dem Bulleye blickte. Die schlingernden Bewegungen der Yacht verrieten es: Der Wind war mit 25-35 Knoten zu stark. Wie wir schon erkannt hatten, liegt dies an den sogenannten „Reinforced Trades“, dem „verstärkten Passat“ oder wie auch immer der deutsche, meteorologische Fachbegriff dafür lauten mag. Das Azorenhoch ist mit 1040 hpa so mächtig, dass wir es in unserer Nussschale, an seinem weit entfernten Südrand mit einer Art Superpassatwind zu tun bekommen haben. Konkret heißt das: Permanenter Druck im Tuch und funkelnde, dunkelblaue, Wasserberge, die von achtern auf uns zurollen und deren Kämme weiß aufblitzend hinter uns brechen.

Das „Wetterwelt“-Datenpaket aus Kiel, mit dem wir täglich per Satellit eine Idee über unser Streckenwetter bekommen, informierte uns heute morgen darüber, dass wir es kommende Nacht mit heftigerem Wind zu tun bekommen werden. Trotz einer damit verbundenen Sorge – die Stimmung an Bord bleibt gut. Schön zu sehen, dass das Paar, das mich angeheuert hat, Vertrauen zu mir fasst und wir als Crew zusammen arbeiten.

Das letzte menschliche Lebenszeichen haben wir übrigens vor 8 Tagen beim Auslaufen aus dem Kanal von Mindelo gesehen, das war eine andere Yacht. Der letzte Mensch, der sich mir eingeprägt hat, war eine fröhlich winkende, junge Frau, die mit einem Dingi vorbei fuhr, als wir den Hafen verließen. Seitdem gibt es nur noch uns. Im Funk kein Pieps. Kein Schiff, kein Flugzeug, nicht einmal ein Satellit. Gibt es die Welt da draußen überhaupt noch? Es ist schon unglaublich, dass wir, die sonst von Nachrichten-Portalen im Sekundentakt über jede Kleinigkeit informiert werden, gar nichts mitbekommen und noch immer auf dem Stand von vor 8 Tagen sind. Das Meer schirmt uns ab und die Literatur steht bei mir unangefochten als Medium der Zerstreuung und Konzentration im Zentrum. Ich habe nun schon 2 Bücher gelesen. Natürlich – wir könnten uns ja auch im Internet etwas Zeitung lesen, der Preis dafür wäre allerdings hoch: 11 Dollar für 1 Megabyte. Aber wollen wir ja auch gar nicht. Wir genießen die Leere, und dass das, was noch von der Welt in uns nachhallt, endlich Zeit hat, sich zu setzen.

Sonntag, 11.Januar 2015. 10. Reisetag., 980 Seemeilen östlich von Sint Maarten.

Wasser – nichts als Wasser…! 
Der Druck ist nach wie vor da. Wir laufen ab, wenn auch in die richtige Richtung. Das „Reinforced High“ – dieses Mega-Azorenhoch – behält uns fest im Griff. Die Wellenhöhe ging in der Nacht im Mittel auf 4 Meter rauf. Squalls, gerade in den Morgenstunden brachten bis zu 8 Beaufort. Jetzt ist Nachmittag. Ich sitze bei 27 Grad Celsius am Heck und beobachte das Weißwasser. Das Meer ist laut. Es rauscht, gurgelt, zischt. Der Kat wühlt sich unter gereffter Genua durch die See, dreht sich, sinkt ins Tal, hebt sich wieder wie von Geisterhand in eine Höhe, die einen Meilenweit über Wellentäler blicken lässt. Ich würde gern länger über diese Weite blicken, nach einem anderen Schiff suchen, einem Segel, war da nicht was da ganz hinten? Ehe ich noch genauer hinschauen kann, sinken wir wieder ins Tal. Es war ohnehin kein Segel, nur der Wunsch danach.
Von einer Entspannung, wie sie die Meteorologen aus Kiel für die kommenden Tage in Aussicht stellten, ist nichts zu spüren. Hier draußen diktiert die Natur das Programm und wir müssen es nehmen, wie es kommt.

Montag, 12.Januar 2015. 11.Reistetag. 920 Seemeilen östlich von Sint Maarten, 3 Uhr früh.

Wieder auf Nachtwache. Sie fängt kurz vor Mitternacht an und endet um 5 Uhr in der Früh. Heute ging es bei mir gleich mit Regengüssen los, verbunden mit Starkwind. Wir müssen vorsichtig sein mit unserer Genua; für die letzten 920 Meilen ist sie als Antrieb alternativlos – es sein denn, der Wind lässt nach. Um sie zu schonen, beeile ich mich, wenn der Wind zulegt, das Segel zu reffen. Allerdings – wenn die Böen nachlassen, muss das Tuch auch genauso schnell wieder raus, sonst bilden wir ein stehendes Hindernis für die Seen, die sich über die vergangen Tage aufgebaut haben. Leider ist nach mancher Squall der Wind ohnehin kurz verschwunden, weswegen auch Ausreffen nichts nützt. Heute ging dieses Spielchen mit dem Ein- und Ausreffen, dümpeln, von der Welle durchgerüttelt werden und neu anfahren, bis der nächste Schauer kommt, usw. über 3 Stunden. Schön ist, wenn der Himmel dann irgendwann mal wieder ganz aufreißt und der Passatwind sich durchsetzt. Wenn der Kat eine gleichmäßige Fahrt aufnimmt. Man kann den Wellen zusehen, die silbrig glänzend um das Boot herumlaufen. Dem Kreuz des Südens, das sich im Südosten langsam heraufdreht, bis seine Arme beinahe horizontal sind. Sich hoch auftürmenden Regenwolken, vom Mond angeleuchtete Figuren bizarrer Schönheit. Ich protestiere nicht, dass mir die lange nächtliche Wache zufällt. Auch, wenn man in der Früh anfängt, im Dunkel Dinge zu sehen. Und in all dem Ächzen und Knarren des Schiffes, dem Gurgeln und Gluckern des Wassers Stimmen hört. War da was? Hat da einer gerufen? Ein kurzer, gepresster Laut, ein Hinweis, ein Apell. Manchmal sind es auch mehrere Stimmen zugleich, ein Chor oder eine Unterhaltung, die man nicht richtig versteht. Ich sehe nach. Die restliche Crew schläft. Ich wache und gebe Acht, dass nichts geschieht.

Anmerkung: Nachdem ich das Thema mit den Stimmen offen angesprochen habe, musste ich zu meiner Erleichterung feststellen, dass es auch ihnen auf ihrer Wache so geht. Anscheinend gibt es bei diesem Katamaran bei bestimmten Geschwindigkeiten Geräusche, die Stimmen nahe liegen.

Dienstag, 13.Januar 2015. 12. Reisetag, ca. 750 Seemeilen östlich von Sint Maarten 16:33 Uhr

In der Nacht haben sich die Squalls die Klinke in die Hand gegeben. Starkregen und Böen von über 50 Knoten. Eine schwarze Nacht. Die von den Meteorologen voraus gesehene Entspannung lässt weiter auf sich warten. Heute Morgen ist der Luftdruck gestiegen, mit 1022hpa ist er für diese Breiten recht hoch. Die Wellen bekamen einen aggressiveren Charakter. Gischt, von den Kämmen abgerissen, flog durch die Luft. Weißwasser breitete sich in langen Streifen aus. Besonders hohe Wellen brachen brodelnd an ihrer Spitze und sahen kurz aus wie der Kilimandscharo. Immer häufiger schoss der Katamaran Wellen hinunter, so dass ich mir Gedanken über Schleppleinen zu machen begann. Das Schlagen und Rollen zehrt an der Substanz. Wir haben es mit diesem Starkwind nun über eine Woche zu tun. Immerhin fahren wir in die richtige Richtung und haben uns auch schon wieder auf den 17. Breitengrad hochgearbeitet, wo Sint Maarten liegt. Einen anderen Kurs gäbe es für uns im Moment allerdings auch gar nicht; wir laufen weiterhin ab. Mein Eignerpaar wollte die Yacht eigentlich zunächst per Frachter Huckepack, oder auch ohne eigenes Zutun, per Überführungscrew in die Karibik bringen lassen und bedauert gerade, dass sie sich entschieden haben, es selbst zu tun. So strapaziös hatte sich die Überfahrt niemand vorgestellt. Ich bin aber sicher: In ein paar Tagen haben sie das Schlimmste vergessen. Und in ein paar Jahren erzählen sie Abenteuergeschichten von dieser Überfahrt. Immerhin funktioniert ja alles. Wir sind etwas angespannt, aber gut bei Kräften. Auch das Miteinander ist nach wie vor ok. Viel Auswahl haben wir ja nicht gerade: Noch immer kein anderes Schiff, kein Funkspruch – nichts. Nur ein Flugzeug habe ich gestern Nacht am Himmel blinken sehen, ehe es am südlichen Horizont verschwand. Anscheinend gibt es die Welt da draußen wohl noch…

Mittwoch 14. Januar 2015. 13. Reisetag. 600 Seemeilen östlich von Sint Maarten.
Gestern Abend legte sich endlich der Wind. Die See beruhigte sich schnell. Die Nacht kam und blieb frei von Störungen. Ein sanftes Dahingleiten im Passat brachte die notwendige Ruhe.

Freitag, 16. Januar 2015, 15. Reisetag. 370 Seemeilen westlich von Sint Maarten

Seit drei Tagen nimmt der Wind beständig ab, mittlerweile liegen unsere Etmale (Strecke in Seemeilen von Schiffsmittag zu Schiffsmittag) schon unter 130 Seemeilen. Die Nacht war ruhig, der Sternenhimmel einzigartig – aber nun reicht es langsam wirklich bald. Unglücklicherweise hat Wetterwelt gemeldet, dass der Wind in den nächsten Tagen noch weiter abnehmen wird.


Samstag, 17. Januar 2015, 16. Reisetag, 230 Seemeilen westlich von Sint Maarten

Es ist heiß. Der Wind ist immer schwächer geworden, hat uns aber zum Glück noch nicht ganz verlassen. Wir haben gestern den Parasailor gesetzt, der uns gut voranbringt, auch wenn der Wind nicht ganz von Achtern kommt. Wir haben bereits unsere Bestimmungshöhe, den 18. Breitengrad, erreicht und nun hat der Wind auf einmal eine südliche Komponente. Im Nachhinein war es ein navigatorischer Fehler so früh nach Norden zu laufen, aber wir hatten hier einfach nicht mit Süd gerechnet. Es steht also eventuell erneut ein Segelwechsel an. Ansonsten sind wir ok. Natürlich würden wir (sogar Ozean-Enthusiasten wie ich) lieber heute als morgen ankommen. Durch die Entspannung im Wetter ist man ja auch nicht mehr mit dem Überleben beschäftigt, und so dehnt sich die Zeit irgendwie. Man ahnt wie Seefahrer vergangener Zeiten in solchen Lagen gelitten haben müssen. Die Frischwasservorräte gehen zur Neige. Kaffee ist aus. Brot gibt es nur noch aus der Dose. Es ist nicht mehr viel Spannendes zum Essen da. Im Obstkorb liegen nur verschrumpelte Zitronen. Lesen kann man, ja, aber man hat doch schon 3 Bücher gelesen…

Es fehlt Abwechslung, die einen aus dieser Gleichförmigkeit entlässt. Ich will mal lieber nichts beschreien. Man kann ja froh sein, dass hier alles so reibungslos läuft und man nicht 500 Seemeilen weiter östlich in einer Rettungsinsel kauert. Apropos Rettung: Heute am späten Nachmittag verlassen wir die Hohe See: Wir unterschreiten die 200 Meilen Distanz zu diversen Karibischen Staaten. Damit käme dann im Bedarfsfall eventuell eine landseitige Rettungsaktion für uns in Frage. Auch mal ein schöner Status.

Sonntag, 18. Januar 2015. 17. Reisetag. 170 Seemeilen östlich von Sint Maarten.

Heute hat sich der Passatwind verabschiedet. Nur ein laues Lüftchen und etwas Dünung sind noch übrig vom Wetter vergangener Tage. Kurz vor Sonnenuntergang starteten wir widerwillig die Maschine – nach über 2000 Meilen unter Segeln.
Seither tuckern wir durch die mondlose Nacht. Es ist warm und wolkenlos. Meer und Himmel sind von der gleichen Schwärze, die Kimm ist verschwunden, das Licht kommt von der Milchstraße. Manchmal glaubt man, ein weit entferntes Positionslicht ausmachen zu können, aber es sind nur Sterne, die etwa einen fingerbreit über dem Horizont stehen müssen. Noch immer keine Menschenseele, nicht mal ein Flugzeug oder ein Satellit zu sehen. Wo ist eigentlich diese ISS? Meine 17. Nachtwache: Langsam werden mir die Sterne zu Vertrau

ten, von denen ich mich hoffentlich bald verabschieden darf.

Montag, 19.Januar 2015. 18.Reisetag. 03:32 Uhr. 30 Seemeilen östlich von Sint Maarten.

Die Lichter von Barbuda haben wir vor ein paar Stunden südlich von uns passiert. St.Barth liegt anscheinend backbord voraus. Es sind sogar Positionsleuchten eines anderen Schiffes zu sehen.
Auch von Sint Maarten gibt es bereits einen Widerschein am Himmel. Die erste richtige Land-Sichtung könnte man dann wohl in der Morgendämmerung vornehmen. Ich werde sie hoffentlich verschlafen, denn in Anbetracht der sich nähernden Zivilisation ist man wohl besser etwas ausgeruht

13:00 Uhr

Wir haben in Marigot/Saint Martin festgemacht. Ein Marinero heißt uns willkommen. Wir können uns wieder mit anderen Menschen auseinandersetzen. Wir verschwenden Wasser, nachdem wir 17 Tage lang eisern gespart haben. Alle Menschen erscheinen gelangweilt. Wir werden fast vom Auto überfahren, als wir die Straße überqueren. Wir setzen uns ins Restaurant, ich esse Mahi-Mahi. Danach bewege ich mich durch die Straßen von Margot. Ein Alien, der es noch nicht fassen kann, wo er gelandet ist.