Es dauert eine Weile, ehe wir am nächsten Morgen die letzte Brücke Leeuwardens passiert hatten und wieder in der Weite Frieslands an Windmühlen, Wiesen und Radfahrern vorbeituckerten.

Wir passierten die Ortschaft Grou, folgten der Beschilderung ins Sneeker Meer und in ein weiteres seenartiges Gewässer, namens Füssen, wo die Friesländer gerade eine Regatta mit High-Tech-Plattbodenschiffen segelten. Am Nachmittag, beinahe drei Tage nach Delfzjl schleusten wir dann in das Ijsselmeer und machten in Stavoren fest.

Einen weiteren Tag später erreichten wir Amsterdam, und schließlich durch den Nordseekanal, Ijmuiden.

Wir waren irgendwie erleichtert, als uns die Nordseeküste wieder hatte. Dennoch kann ich die Tour durchs Hinterland empfehlen, entweder als Studium der urigen Binnenwasserwelt Frieslands oder als Notlösung, wenn man sonst keine andere Möglichkeit sieht aus der Deutschen Bucht herauszukommen. Allerdings hat unser Tiefgang nur 1,80 m betragen, und viel Wasser hatten wir mitunter nicht mehr unterm Kiel. Auch hörten wir, dass das Rijkswaterministerium die Route anscheinend mitunter ändert. Bis Amsterdam sollte man von der Ems aus in jedem Fall mit 3-4 Tagen rechnen, und hat dann auch noch alle Hände voll zu tun: Auf den Kanälen ist es ja nicht wie auf See, wo man manchmal die Seele baumeln lassen kann. Hier ist ständige Aufmerksamkeit nötig und am Abend weiß man, was man getan hat.

08.08.16   Aufbruch gen Südliche Nordsee

Endlich drehte der Wind auf Nordwest und wir konnten Ijmuiden verlassen, dieses hässliche, sandige Nest mit schlechtem Essen und lausigen Versorgungsmöglichkeiten.

Es störte uns daher auch nicht, in der Ausfahrt gegen eine steile drei Meter Welle anzubolzen. Die habe ich beim Ausfahren von Ijmuiden schon öfter erlebt. Man kann da

ganz gelassen bleiben, und sobald man 10 Meter Wassertiefe erreicht hat, nach Südwest abdrehen.

Mit frischem, halbem Wind ging es durch die noch vom abziehenden Tief aufgewühlte See. Da wir nur zu zweit waren, verloren wir keine Zeit und gingen in den Wachplan über: Nachts 2 Stunden-Wachen im Wechsel, tagsüber 3 Stunden.

Leider konnten wir aufgrund des Westwindes nicht die Route quer über die Nordsee nehmen und die West Hinder TSS Junction nördlich umfahren, wie ich es diesem Jahr schon zweimal getan hatte. Die Küstenroute erfordert mehr Aufmerksamkeit, ist viel flacher, mit ihren Sandbänken und Fahrwassern der Großschifffahrt.

Als wir Rotterdam erreichten querte ich (Oliver schlief tief und fest) im „Smallcraft Channel“ unter der Beobachtung von „Maas Control“das Fahrwasser des größten Containerhafens Europas. Von See aus sieht dieser Hafen aus wie eine gigantische Burg. Als wir auf der anderen Seite waren, zog ein schweres Gewitter auf: Blitze zuckten über Rotterdam und Antwerpen, es schüttete wie aus Eimern mit Sturmböen. Ich strich die Segel und motorte durch ankernde Großschiffe hindurch, hoffend, dass es uns nicht erwischen möge.

Am Mittag des nächsten Tages standen wir vor der Westerschelde. Hier muss man die Ein- und Ausfahrten der Häfen Antwerpen, Vlissingen, Zeebrügge, etc. queren, was nachts und bei Starkwind eine Herausforderung sein kann, weil das Wasser flach und die Gezeitenströmung mitunter stark ist.

Wir hatten Glück: Zwar war die Zahl der Containerriesen groß, aber der Wind war moderat und die Sicht bestens. Zudem ist die Crevette mit AIS (Automatic Identifikation System) ausgestattet, was die Querung erleichtert. Nach ein paar Ehrenrunden ging ich mit Vollgas durchs Fahrwasser und war nach dreißig Minuten drüben.

Der Wind ließ weiter nach, was gut war, denn bei Wind gegen Strom kann der Seegang auf den Flämischen Bänken grob werden.

Die Stunden vergingen mit Wachen und Freiwachen. Bei letzteren versuchte meist jeder von uns schnell zu schlafen, um für die Nacht Kräfte zu sparen.

Querung der Dover Strait

Am Abend machten wir uns daran, die Straße von Dover zu queren. Gerade zog eine schwarze Wand über Südostengland auf. Just als wir die Trennlinie des Verkehrstrennungsgebietes passierten, begann es zu regnen und der Wind wurde unstet. Wir rollten die Genua weg, gaben Gas und meldeten uns über Funk bei der Verkehrsleitzentrale, damit man wusste, dass es uns gab. Der höfliche Brite von der Dover Coast Guard bat uns, die Querung der Strait den Kollisionsverhütungsregeln entsprechend durchzuführen.

Mit AIS ist so etwas ja scheinbar simpel. Man erkennt frühzeitig, ob es mit einem Frachtschiff eng wird und kann entsprechende Gegenmaßnahmen ergreifen. Allerdings beschränken diese sich in einem Verkehrstrennungsgebiet darauf, schneller oder langsamer zu werden, da man ja verpflichtet ist, mit der Kiellinie einen 90 Grad-Winkel zum Fahrwasser zu halten. Auf der Northeast-bound Lane kamen wir zunächst auch gut klar, aber am Ende musste die Coast Guard doch noch eingreifen: Denn – was wir nicht vorhersehen konnten: Ein dem Fahrwasser nach Nordosten folgender Großfrachter, südlich von uns, hatte den Plan, das Gegenfahrwasser zu queren um zur Themse hochzulaufen. Als er die Coast Guard hiervon unterrichtete, erinnerte man sich dort an uns und machte den Frachterkapitän darauf aufmerksam, dass wir uns gerade irgendwo vor ihm befinden müssten. Daraufhin kommentierte dieser erstaunt, dass er uns jetzt auch gerade entdeckt hätte. Er ging dann mit seinen 450.000 Tonnen ein paar Kabellängen hinter uns vorbei. Faszinierend.

Die Querung des südwestlich fahrenden Verkehrs in der Mitte der Nacht habe ich nur noch halb mitbekommen, weil Oliver meinte, die Lage im Griff zu haben und ich eigentlich längst ins Bett gehörte. Hinterher erfuhr ich von ihm, dass es vor der Ausfahrt des Fährhafens von Dover noch mal eng geworden war, weil vier Fähren gleichzeitig auftauchten, zu einem Zeitpunkt an dem er eigentlich schon annahm, alle Gefahr hinter sich zu haben.

Wir setzten unseren Weg fort gen Westen. Die Nacht vor der Küste von East-Sussex war ruhig, ein Nordwind trieb uns an. Wir umrundeten das Kap Dungenes, passierten Eastbourne. Kurz nach Sonnenaufgang begannen wir bei schralendem Wind vor Beechy Head zu kreuzen, fast bis vor die Marina von Brighton, wo wir 43 Stunden, nachdem wir Ijmuiden verlassen hatten, einliefen.

Brighton Marina

Die Marina in Brighton ist eine gigantische, betonummantelte Festung, dem Meer abgetrotzt und vor die Kreidekliffs gerammt, über einen Kilometer lang und einen halben breit. Trotz dieser Dimensionen kann das Einlaufen bei stärkeren Winden aus südlichen bis westlichen Richtungen aufgrund der Flachs vor dem Hafen gefährlich sein, und ist ohnehin nicht mit jedem Tiefgang machbar. Hat man es aber geschafft, empfängt einen der Staff mit der typisch britischen Aufmerksamkeit.

Diese größte Marina Großbritanniens, ein paar Meilen östlich vom eigentlichen Seebad Brighton gelegen, ist eine Welt für sich. Im Yachthafen geht es noch verhältnismäßig ruhig zu. Verlässt man diesen aber durch eine Drehtür erwarten einen Pizzaläden, Cafès, Pubs, Supermärkte, Casinos, Werkstätten, ein Kino, eine Tankstelle, Souvenirshops und, und, und… Die meisten Menschen, die man hier antrifft, haben nicht viel mit Booten zu tun, außer dass diese als eine Fototapete herhalten. Über eine Art Autobahnzubringer fließt dieser Ausflugsverkehr Tag und Nacht in diesen Freizeitpark hinein und wieder hinaus. An einem sonnigen Wochenende kann der Menschenauflauf in Kombination mit vielen Neppangeboten schon einen ziemlich abschreckenden Zug bekommen – die hässliche Fratze des Kapitalismus. Wird man dieser Umgebung dann überdrüssig und will – wie es uns erging – die Marina am liebsten fluchtartig verlassen, heißt dies aber noch lange nicht, dass man es auch kann – zumindest nicht auf dem Seeweg. Das Warten auf den richtigen Wind, besonders auf Ostwind ist an der Englischen Südküste legendär und der Marina-Staff in Brighton kann ein Lied von Bootfahrern singen, die einfach nicht wegkommen, weil der Südwest erbarmungslos auf die Küste steht.