13. August 2016, 23:30 Uhr
Kurz vor Mitternacht gab das Tief endlich nach. Wir verloren keine Zeit und machten uns auf die 280 Meilen nach Brest, gemeinsam mit unserem Neuzugang Boris, der uns einen Genacker mitgebracht hat.
Den ersten Teil der Nacht sind wir noch gen Süden motort, aber ab dem Morgen konnten wir das neue Segel dann auch gleich setzen. Zur Stunde kleben wir wie die Fliegen an der Ecke des Cap de La Hague bei drei Knoten Gegenstrom und drei Knoten Speed und warten darauf, dass sich der Strom zu unseren Gunsten umkehrt….
16. August 2016
Für den zweiten Seetag seit Brighton gibt es in England den Ausdruck Champagne-Sailing, wie wir später belehrt wurden. Unter stahlblauem Himmel hat uns der Ostwind weit mehr Höhe beschert als wir brauchten. Die Scalar zeigte sich dabei gutmütig und solide. Es war beeindruckend, wie rasch Boris Seebeine wuchsen. Noch dazu schien er gar nicht genug Wissen aus der Welt der Seefahrt in sich aufnehmen zu können.
Als wir am Abend, an der Stirnseite der Bretagne, den Chenal du Four nach Süden hinuntersegelten und einen Wetterbericht bekamen, sahen wir, wie sich das Wetter in den nächsten Tagen auf der Biskaya entwickeln sollte. Bis dahin waren wir noch davon ausgegangen, dass das Hochdruckgebiet sich halten und uns endlich aus nördlichen Breiten in den richtigen Sommer befördern würde. Aber nun kündigte sich eine weitere Störung an. Plötzlich schien es fraglich, ob Brest wirklich nur ein Boxenstopp werden würde. Am Abend machten wir in der Marina du Chateau in Brest fest.
Am nächsten Morgen sahen wir uns die Sache noch einmal genauer an. Die Entscheidung sofort auszulaufen oder zu bleiben stand an. Wir taten uns nicht leicht damit. Klar war, nach allem, was wir sahen, dass wir es wohl binnen 48 Stunden irgendwie über die Biskaya schaffen mussten, was bei leichtem Gegenwind mit einem 11 Meter-Boot kaum zu machen ist. La Coruna wäre auf keinen Fall zu halten gewesen, aber eventuell ein Hafen weiter östlich, zum Beispiel Gijon. Wir mussten feststellen, dass es in jedem Fall ein Rennen gegen die Zeit werden würde, denn bald würde ein Sturmtief auf der Biskaya das Sagen bekommen. Schweren Herzens kamen wir zu dem Schluss, dass es einfach keinen Sinn machen würde, und wir die Reise an dieser Stelle unterbrechen mussten, bis dieses Tief wieder abgezogen sein würde. So eine Entscheidung zu fällen ist immer bitter. Man fragt sich, ob man sich nicht nur drückt und man sich nicht doch lieber hinauswagen sollte. Erleichterung verschaffte uns in diesem Fall ein Stegnachbar, der aus Jersey stammt, und dem wir am Morgen von unseren Aussichten erzählt hatten. Er hatte sich die Wetterlage auch angesehen und bestätigte uns, eine seemannschaftlich korrekte Entscheidung getroffen zu haben („a seamans decision“). Er sagte, für den Fall, dass wir nun doch ganz schnell noch hinausfahren würden, um es vor dem Tief irgendwie zu schaffen, gäbe es auch einen englischen Ausdruck: To marry in a haze.
Aufbruch über die Biskaya
23.08.2016
Nach dieser wetterbedingten Zwangspause (Ich trieb mich in Paris herum, Oliver blieb beim Schiff) planten wir am Abend des 23. August auszulaufen. Leider ohne Boris, der sich aus Zeitgründen schon wieder verabschieden musste.
Am Nachmittag schnappte ich mir noch mal ein Fahrad und machte mich auf den Weg zu einem Strand, der nordwestlich von Brest liegt. Das Sträßchen führt hinter den Hafenanlagen der französischen Marine entlang und gibt immer wieder den Blick auf Kaianlagen und Militärschiffe frei. Am Ende taucht der Nazi-Bunker auf. Gigantisch, roh, voller Krater von Angriffen. Er hat dem schweren Bombardement der Aliierten standgehalten, das alte Brest hat es nicht. Das heutige Brest ist nach dem Krieg am Reißbrett entstanden. Schnörkellos, modern, etwas klassizistisch angehaucht. Rechteckige Straßenzüge, alles pastellfarben. Das Auge ist darin vergeblich auf der Suche nach etwas Gewachsenem, Historischem. Ausgerechnet dieser Nazibunker scheint neben dem Schloss eines der ältesten Gebäude zu sein. Wenn ich in Brest auslaufe und die Stadt als Ganzes sehe, frage ich mich immer, wie Brest früher ausgesehen haben mag, bevor Hitler es zur Festung ausbauen ließ und die Alliierten es in Schutt und Asche bombten.
Am Abend legten wir ab. Draußen war die See vom abziehenden Tief noch immer aufgewühlt, aber es herrschte Windstille. Unsere kleine Yacht wurde vom Seegang hin und hergeworfen. Ich hatte ja geahnt, dass es sportlich werden würde, war aber auch lange nicht mehr mit ranken 34 Fuß auf dem Atlantik unterwegs gewesen. Irgendwann gewöhnt man sich daran, bekommt es schließlich gar nicht mehr mit, dass man sich gerade mit aller Kraft vom Süllrand hochstemmt oder am Edelstahlrahmen der Steuereinheit festkrallt.
23.08. 21:00 Bordzeit
Oliver sagte eben noch, „Hier draußen tut sich nicht viel…“ und wünschte eine „Gute Wache“, ehe er im Niedergang verschwand.
Wir sind mitten auf der Biskaya. Halbe Strecke zwischen Brest und Cabo Fisterra in Galizien. Eine Brise aus Nordwest schiebt uns voran, als ich keine halbe Meile entfernt eine Luftverfärbung am Horizont bemerke. Sie verschwindet wieder. Jetzt sehe ich, dass etwas nach oben schießt. Wieder ist die Luft verfärbt. Ohne Zweifel – es ist ein Blas. Dort drüben ist ein Wal. Ich suche das Meer ab. Nichts mehr. Ich widme mich einem Buch, der Autopilot steuert das Schiff. Einen Moment später – ich bin gerade völlig vertieft – höre ich ein seltsames Gurgeln. Ich blicke auf, sehe direkt neben dem Schiff aufgewühltes, spiegelglattes Wasser. Sonst ist das Meer überall um uns durch den Wind aufgeraut. Jetzt kann ich auch den Wal sehen, direkt achteraus. Groß, schwarz, die Finne schmal, etwas gebogen am Ende. Noch einmal taucht er ab, dann kommt er hoch und bläst. Ich starre wie gebannt auf ihn, bin ein ganz wenig verunsichert: Was ist, wenn der irgendwie feindliche Absichten hegt, so dicht wie der uns kommt. Ich meine, es gibt hier draußen ja nur ihn und uns. Falls er aggressiv wird, kann ich ja schlecht die Wasserschutzpolizei rufen…
Ich sehe ihn verschwinden, schließlich nur noch Wellen.
Eine ganze Weile stehe ich da und frage mich, was der Wal suchte. Warum er zurückkam. Ich lese weiter, bin mitten im Text, als ich aus Luv ein Röcheln höre, ein tiefes, tiefes Luftholen. Er ist direkt neben uns. Ganz kurz kann ich sein Auge sehen, dann taucht er ab und verschwindet wieder. Ich stehe an Deck und suche die See ab. Wahrscheinlich ist er noch da, aber ich kann ihn nicht mehr sehen, denn die Nacht hat sich über die Biskaya gesenkt.
24.08.2016, etwa 80 Seemeilen nordöstlich von La Coruna. Nachmittags.
Die Biskaya macht Druck. Die See ist aufgewühlt. Ich beobachte die Luvseite, bin auf der Hut. Wir sind im 2. Reff im Groß, bei gereffter Fock. Die Yacht geigt. Vor uns leuchtet der Himmel, die See glitzert, aber hinter uns, von wo der Wind kommt, ist es graublau. Hin und wieder fallen ein paar Tropfen. Ich habe keine Angst, aber Respekt. Ich passe auf, dass ich reagieren kann. Wie eben, als ich die Bö anhand der Schaumkronen vorher gesehen habe, schon in ein zwei Meilen Entfernung. Ich konnte reffen, bevor Oliver unten aus der Koje fällt.
Es kommt kaum vor, dass wir lange zusammen im Cockpit sitzen, auch wenn wir uns menschlich grün sind. Jeder von uns ist ja 12 Stunden auf Wache. Das reicht doch an Frischluft, da ruht man sich lieber aus. Eben habe ich schon wieder einen Blas gesehen. Verfolgt mich der Wal? Ein paar große schwarze Delfine mit nach vorne abgerundeten Köpfen waren auch schon da.
25.08. 2016, 06:30 Uhr Bordzeit
Es gibt Nächte auf See, die sind so schwarz, dass man heilfroh ist, wenn der Morgen graut. Nur sehr langsam zeichnet sich eine Horizontlinie ab, immer wieder blitzt es. Hin und wieder donnert es auch. Die Nacht war windig, die See ruppig. Sie hat uns vor sich her getrieben, irgendwo nördlich vor La Coruna, wo der Festlandsockel beginnt und die Wassertiefe innerhalb von ein paar Seemeilen von 4000 auf 300 Meter ansteigt. Wir passierten eine rote Blitzboje, die nicht in der Seekarte verzeichnet war. Danach ging es mit den Fischtrawlern los. Wir waren mit ausgebaumter Genua und einem, durch einen Bullentallie gesichertem Großsegel in unserer Kurswahl eingeschränkt, aber jedem einzelnem Trawler ausweichpflichtig. Also versuchten wir uns dort hindurch zu lavieren und alle querenden und entgegenkommenden Fischtrawler irgendwie weiträumig zu umfahren.
Vor einer Stunde, es war noch Nacht. Ich schlief gerade tief und fest, als Oliver mich weckte. Ich kam hoch und sah, dass das Großsegel back stand, bei starkem Wind und grober See. Kurz vor uns in Lee hielten 2 durch ein Schleppnetz verbundene Fischer auf uns zu. Unsere Genua zog noch, wir waren auch noch auf Gegenkurs! Was war eigentlich passiert, wie hatte es soweit kommen können? Oliver rief, dass die Fischer kurzerhand ihren Kurs geändert hatten, völlig ungeachtet der Tatsache, dass sie Kurshalter waren. Wir refften die Genua weg, schossen in den Wind, ließen das Großsegel fallen, versuchten mit voller Kraft der Maschine unsere Haut zu retten. Am Ende passierten wir diese Ignoranten um zwei Kabellängen.