Hinter der Dover Strait gen Norden liegen die Flämischen Bänke, ein System von Sandbänken, durch das man ein Schiff lotsen muss, wenn man nicht draußen im Verkehrstrennungsgebiet (VTG) unterwegs sein will, auf festgelegten, oft unsegelbaren Kursen, wo die großen Pötte fahren. Eigentlich hatten wir uns diesmal entschieden, aufgrund der Wetterlage doch lieber im VTG zu fahren, aber durch ein Missverständnis zwischen den Wachen haben wir die Abfahrt verpasst und waren nun in die Bänke geraten. Die Wellen machten Druck. An großartige Kursänderungen war gar nicht zu denken. Um bei ein paar Schlenkern, die man zwischen den Sandbänken fahren muss, manövrierfähig zu bleiben, entschlossen wir uns kurz vor Einbruch der Dunkelheit, die Arbeitsfock mit einem Bindereff zu halbieren. Wir trauten unseren Augen nicht, als just zu diesem Manöver ein französisches Zollboot auftauchte, das uns mittels einer Tafel aufforderte, Funkkontakt aufzunehmen. Der Wachhabende wollte Informationen zu Schiff und Crew haben. Meinen Protest, dass wir uns zwischen Sandbänken befanden und dabei waren, unsere Haut zu retten, überhörte er. Ich musste ein Papier, das uns eine andere Zollbrigade in Roscoff bei einer Durchsuchung dagelassen hatte, aus dem Schiffsinneren holen und Nummern durchgeben, während die Crew bei einbrechender Dunkelheit, heftigem Seegang und jeder Menge Wind auf dem Vordeck darauf wartete, das Manöver zu Ende zu bringen.

Als wir die Flämischen Bänke hinter uns ließen, war es schon wieder Nacht. Eine

Zeitlang segelten wir noch unbehelligt nach Nordosten, dann waren die Verkehrsstrennungsgebiete der Westerschelde auszumachen, das sind die Ausfahrten von Großhäfen wie Antwerpen und Vlissingen in die südliche Nordsee. Die Wassertiefe an vielen Stellen, beträgt dort kaum mehr als 15 Meter, was bei Wind und Gezeitenstrom eine ziemlich unruhige See ergibt. Als ob dies nicht schon reichen würde – ist das Hauptthema dort Kollisionsverhütung. Der Verkehrsfluss ist heftig. Ich hatte mir bei meiner letzten Querung vorgenommen, so etwas nie wieder im Dunkeln zu machen, und nun war es doch wieder soweit gekommen. Die Großschifffahrt hat natürlich absoluten Vorrang in diesen Verkehrswegen. Das AIS bietet einen Vorteil, wenn es darum geht, eine Lücke zwischen Containerfrachtern und Fähren zu finden, durch die man stoßen kann. Diesmal lief es erstaunlich gut.

Nach der Westerschelde passierten wir Reeden und Windparks, und schließlich große Sandbänke, wie die Middelbank, südlich von Rotterdam, die sich über zig Meilen hinziehen, und zwischen denen das Wasser etwa 20 Meter tief ist. 

Am nächsten Morgen kamen wir an die Ausfahrt der Maas. Dort liegt „Europort“, der größte Containerhafen Europas. Wir querten in dem dafür vorgesehenen Small-Craft-Channel, was relativ einfach ist, weil die zuständige Verkehrsleitzentrale „Maas Entrance“, eine Yacht nach Anmeldung auf ihrem Schirm hat und per Funkverbindung durchlotst.

Nach der Maas gen Norden kann man endlich wieder richtig Segeln. Das Wasser ist tief genug und zwischen Strand und Großschifffahrtswegen sind es über fünfzehn Meilen. Wir kreuzten mit gutem Speed vor dem Südwestwind. Da der Motor der Asahi am Morgen beim Durchqueren der Maas-Ausfahrt kurz geschwächelt hatte, mussten wir annehmen, dass wir entweder den Diesel schon ziemlich leer gefahren hatten, oder aber, dass der Dieselfilter verstopft war. Wir kamen zu dem Schluss, dass ein kurzer Sicherheitsstopp in Ijmuiden unvermeidlich war, um zu tanken und den Filter zu wechseln.

Die Einfahrt in Ijmuiden bei auflandigem 6-7 Beaufort ist beindruckend.

Ich muss ehrlich zugeben, dass ich mir nicht sicher war, ob wir bei derart hohen, steilen Wellen ungeschoren wieder hinauskommen würden.

Wir machten an der Tankstelle fest, tankten, und mussten dann feststellen, dass wir nicht den richtigen Filter an Bord hatten. Ich lief kurzerhand zu einer Werkstatt hinauf. Ein paar Männer standen davor im Kreis. Sie erzählten mir, dass der einzige Mann, der mir dort die richtigen Filter hätte verkaufen können, leider gerade seinen Laden abgeschlossen hatte und weggefahren war.

Einer, der Anwesenden, sein Name war „Art“, nahm mich kurzerhand in seinem Alpha-Romeo mit. Wir fuhren nach Ijmuiden rein. Leider war auch dort nicht der richtige Filter zu bekommen. Doch als Art, der ein alter Regattahase aus Amsterdam ist, mich wieder beim Schiff ablieferte, hatte ich zumindest ein paar nützliche Infos zur Ausfahrt von Ijmuiden erhalten: Bei Südwest 6-7, so Art, wäre es überhaupt kein Problem, den Hafen gen Norden zu verlassen. Man müsse auch nicht lange, wie ich es vorgehabt hatte, im tiefen Wasser der Ausfahrt bleiben, sondern könne schon ein paar hundert Meter nach der Hafenmauer auf einen Kurs von 340 Grad abfallen, über fünfzehn Meter tiefem Wasser, so dass man die Westkardinale von Den Helder in 2 Seemeilen westlich passiere – aus Sicherheitsgründen – für den Fall, dass der Wind rechts drehe. Die Probleme in Ijmuiden kämen erst bei nördlichen Windrichtungen auf, so Art. Dann gäbe es die „Big Rollers“, die die Grundseen brächten. Allerdings war er sich sicher, dass man den Hafen auch noch bei Nordwest 10 anlaufen könne, wenn man sich nur mittig in der Fahrrinne halte; 20 Meter Wassertiefe seien dazu genug.

Wir verzichteten auf den Filter, setzten das Großsegel im Vorhafen und hielten uns penibel an Arts Anweisungen als wir Ijmuiden verließen.

Zwei Stunden später hatten wir Den Helder querab. Es war bereits wieder dunkel. Eine weitere, vierzehnstündige Nacht auf See war angebrochen.

Nördlich von Texel hat man sich als Yacht in der Küstenverkehrszone zu bewegen, die kaum mehr als zwei bis 4 Meilen breit ist. Zum Land hin nimmt die Wassertiefe schnell ab – und zur Seeseite hin befindet sich die Großschifffahrt im Verkehrstrennungsgebiet. Wenn man dann nachts – wie in unserem Fall – den Wind von achtern hat, und normalerweise in langen Schlägen vor dem Wind kreuzen würde – hier kann man es vergessen, weil der Seeraum dazu bei weitem nicht ausreicht. Aus Sicht eines Yachtseglers ist die südliche Nordsee wirklich oft ein allzu enges Höschen …

Donnerstag, 12.November 2015

Der vorletzte Tag der Reise hat uns geradezu überrumpelt. Immerhin waren wir am 23. Oktober in Portugal gen Hamburg aufgebrochen und hatten uns innerlich schon lange auf Kälte vorbereitet. Und nun, beinahe 3 Wochen später, bei achterlichen 4-5 Windstärken liefen wir an Borkum entlang, unter Genacker und Großsegel – und in Shorts und T-Shirt …

Nach all der Dunkelheit und Feuchtigkeit, die wir zwischenzeitlich in Kauf zu nehmen hatten, kam uns dies wie ein Geschenk Poseidons vor.

Nachdem wir unter diesen idealen Bedingungen die„Parade der friesischen Inseln“ abgenommen hatten, liefen wir pünktlich zur einsetzenden Flut in die Elbe ein, wo wir gegen 22 Uhr in Cuxhaven festmachten.

Freitag, der 13. November  2015

Was bleibt zu sagen? Der Rest war ein Heimspiel. Frühmorgens blies uns der Südwest die Elbe hinauf, bei mitlaufendem Strom. Nach 5 Stunden machten wir die Yacht in Wedel bei Hamburg fest.

Etwas ungewohnt war die Situation schon – immerhin war es drei Wochen lang darum gegangen, wie wir weiter kommen können. Ständig hatten wir über Wetterkarten gebrütet und vorausgeplant – und nun war es mit einem Mal vorbei.

Ich war stolz und froh, es ohne eine Schramme geschafft zu haben. Es war nicht einmal eine gefährliche Situation dabei gewesen.

Man kann so einen Törn unter Umständen schneller fahren. Wir hätten alle nichts dagegen gehabt, ein paar Tage früher da zu sein. Man kann die Belastungsgrenzen immer noch ein Stück hinausschieben – aber das lässt sich am ehesten mit einer eingespielten Crew machen, und mit einem Schiff, das man kennt.

Wir waren mit einem fremden Schiff losgefahren. Und die Crew war ein bunt zusammengewürfelter Haufen gewesen. Wenige Tage Vorlaufzeit für den Törn und der Ausblick auf ein raues, kaltes Unternehmen hatten bei meinen Aufrufen nicht sehr viele Kandidaten angesprochen. Die, die ich dann schließlich dabei hatte, waren Männer, die sich nicht vor Kälte und schwerem Wetter fürchten. Aber auch mit völlig unterschiedlichen Gewohnheiten, Ansichten und Ansprüchen. Am Ende waren wir zu einem Team herangewachsen, dem ich weit mehr zugetraut hätte als am Anfang.

Es war nicht immer leicht miteinander, das liegt in der Natur der Sache. 4/5 Männer auf engstem Raum, ohne Rückzugsmöglichkeiten. Gerade, wenn man hängt, kann es eng werden. Aber wir haben es geschafft – meiner Crew gilt mein Dank.

[/fusion_text][/fusion_builder_column][/fusion_builder_row][/fusion_builder_container]